Sie hielten dieser Tage einen Vortrag vor Studenten des Kärntner Landeskonservatoriums, worüber haben Sie gesprochen?

GEORG FRIEDRICH HAAS: Ich habe im Rahmen einer erstaunlich gut besuchten Lehrveranstaltung über die Mikrotonalität und die Oper von heute gesprochen und konnte mich mit Werken von Studierenden öffentlich auseinandersetzen. Grundsätzlich bedeutet es mir sehr viel, meine Erfahrungen an die nächsten Generationen weiterzugeben.

Sie sprechen selbst auch immer wieder von Ihren „Jahren der Erfolglosigkeit“?

Es stimmt, ich hatte ungewöhnliche Vorstellungen, neue Klang- und Strukturideen, Mikrotonalität, Dunkelheit. Heute werden meine Ideen weltweit geschätzt. Jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die unter geringer Resonanz ihrer Arbeit leiden, erzähle ich dann meine Anekdoten, um sie zu ermutigen, weiterzumachen.

Sie gelten heute als einer der bedeutendsten Komponisten der Gegenwart. Welches Ihrer Stücke halten Sie für besonders wichtig?

Das wichtigste Stück ist immer jenes Werk, an dem ich gerade arbeite.

Woran arbeiten Sie derzeit?

  erade bin ich dabei, ein abendfüllendes Werk für Tanztheater zu beenden. Es wird 2020 in Berlin in Zusammenarbeit mit der von mir sehr geschätzten Sasha Waltz uraufgeführt werden. Weiters ist geplant: Ein Konzert für Schlagzeug und großes Orchester, es wird auch in Wien zu hören sein, ein 40-minütiges Stück für die London Sinfonietta, die sich auf die Malerei von Bridget Riley bezieht, und vieles mehr.

Warum werden Sie immer von so dunklen Themen wie Nacht, Dunkelheit, Verlust, Illusion angezogen? Warum reizen Sie Extremsituationen des Lebens?

Das hat mehrere Gründe. Einer davon ist, dass ich in einer Nazifamilie aufgewachsen bin und zunächst – wie viele andere Kinder aus Nazifamilien – von meinen Eltern und Großeltern indoktriniert wurde. Erst später begriff ich, was meine Vorfahren verbrochen haben. Die Toten, ihre Opfer, stehen hinter mir. Ich empfinde zwar keine persönliche Schuld, aber Scham für meine Vorfahren. Ich bin da kein Einzelfall. Viele österreichische Künstlerinnen und Künstler schaffen aufgrund dieser unserer Vergangenheit dunkle Werke, nicht nur ich.

Sie werden immer als Hauptvertreter der Mikrotonalität sowie der Spektralmusik angesehen. Also von einer Musik, in der das klassische Halbtonsystem aufgelöst ist und eine Abkehr von der wohltemperierten Skala stattfindet, wodurch magische Klänge entstehen.

Ich habe den utopischen Wunsch, eine Musik zu komponieren, die ausdrucksstark, schön und wohlklingend ist – nicht obwohl sie Avantgardemusik ist, sondern weil sie neu ist. Im Übrigen sind wir ständig von Mikrotonalität umgeben, zum Beispiel von Vogelgesang. Das Thema von „Koma“ war eine Idee des Librettisten Händl Klaus, mit dem ich nach „Bluthaus“ und „Thomas“ bereits die dritte Oper gemacht habe. „Koma“ wurde in Schwetzingen aufgeführt, für Klagenfurt haben wir jetzt eine neue, für mich definitive Fassung erarbeitet.

Sind diese Phasen der absoluten Dunkelheit in dieser Oper nicht eine immense Herausforderung für Musiker und Publikum?

Ja. Die Oper wird aus der Sicht einer Patientin gezeigt, die im Wachkoma liegt. Sie ist umgeben von Ärzten und Angehörigen. Die Dunkelheit hat dabei eine immens dramatische Wirkung und soll eine Grenzerfahrung bewirken. Das Publikum wird vor jeder Vorstellung informiert und es bleibt die Entscheidung der Besucher, die Vorstellung zu verlassen, wenn man sich dieser Erfahrung nicht aussetzen möchte. Musikalisch funktioniert es: Die Musiker müssen intensiv aufeinander hören und tragen eine wechselseitige Verantwortung. Mehr noch: Ich konnte spüren, dass diese Herausforderung den Menschen, die meine Musik realisieren, eine tiefe, innige Freude bereitet.

Wie liefen die Endproben?
Wunderbar, das Ensemble und das Orchester waren exzellent. Und Dirigent Bas Wiegers und Regisseur Immo Karaman sind absolute Glücksfälle.