Eine Geschichte von der Wucht einer antiken Tragödie, erzählt mit den Mitteln der Seifenoper: Kann das funktionieren? Die österreichische Erstaufführung von Noah Haidles „Götterspeise“ am Grazer Schauspielhaus liefert dafür ein nicht ganz überzeugendes Plädoyer ab.
An der Geschichte einer Aushilfsköchin in der Schulkantine entwirft der US-Dramatiker eine Szenerie des Scheiterns: Erst fällt Constants geliebter Job Sparmaßnahmen zum Opfer, dann lässt der verheiratete Liebhaber sie mit der gemeinsamen Tochter sitzen; wo immer Constant Hilfe sucht, stößt sie auf starre Regelwerke. Dem Mahlwerk Welt setzt sie unbedingtes Mitgefühl entgegen, genau das besiegelt ihr Schicksal: Ihre radikale Empathie macht Constant wehrlos gegenüber den Bedürfnissen ihrer Mitmenschen, am Ende wird sie aus Barmherzigkeit eine suizidale Mitinsassin in der psychiatrischen Anstalt umbringen und in der Todeszelle landen.

So weit, so tragisch. Absichtsvoll und oft allzu bereitwillig streift die Erzählung dieses prekären Frauenschicksals am Rührstück. Regisseur Jan-Stephan Schmieding setzt Haidles melodramatischem Impetus mit viel Gespür für Rhythmus und starke Bilder eine pointenstreichelnde Inszenierung entgegen, die Milieuschilderung und Gesellschaftskritik hintanstellt und die düstere Mechanik der Ereignisse betont. Zu diesem Zweck setzt er den Schauspielern in den ersten beiden Akten übergroße Masken auf und lässt sie die schablonenhafte Handlung mit ebenso übergroßen Gesten unterstreichen.

Bravouröses Ensemble

Das stellt die Systematik dieser Märtyrerinnengeschichte wie unterm Fischauge aus; allerdings nutzt sich die überlebensgroße, cartooneske Körpersprache recht schnell ab – als nach der Pause die Masken abgenommen sind, wirkt das wie ein Befreiungsschlag für die Figuren, allen voran für Constant, der die einmal mehr fabelhaft aufspielende Julia Gräfner herzzerreißende Würde verleiht. Für Constant ist das ganze Leben eine Zerreißprobe, ihre anhaltende Zuversicht im Angesicht fortgesetzter Katastrophen der letzte verbliebene Schutzmechanismus; großartig, wie farbenreich Gräfner diesen Charakter an der Grenze zur Zerrüttung ausmalt. Um sie herum gruppiert sich mit Florian Köhler, Oliver Chomik, Florian Stohr, Nanette Waidmann, Maximiliane Haß ein Ensemble, das schwierige Rollenwechsel mit und ohne Maske bravurös meistert.

Zu den starken Situationen und Momenten – die glitzernde Tristesse eines Schulballs, das komische Grauen des Anstaltsalltags – tragen nebst Schmiedings gelenkiger Regie auch Rosa Wallbrechers kantige, kühle Bühnenbilder und Bernhard Neumaiers melancholisierte Popklassiker bei; Thomas Trummers berückendes Licht, Tanja Krambergers strenge Kostüme und und Dieter Schäffners Masken. Man hätte diesem engagierten Team für seine Leistung bloß etwas lohnenderes Material gewünscht – und frenetischeren Applaus.

Götterspeise. Von Noah Haidle.
Regie: Jan Stephan Schmieding.
Bühne: Rosa Wallbrecher.
Kostüme: Tanja Kramberger.
Musik: Bernhard Neumaier.
Licht: Thomas Trummer.
Mit: Julia Gräfner, Oliver Chomik, Florian Köhler, Florian Stohr, Nanette Waidmann, Maximiliane Haß.
Nächste Termine: 22. März, 27. März, 9. April, 11. April, 17. April, jeweils 19.30 Uhr. Tickets: Tel. 0316/8000.
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