Über der Bühne hängen neben fünf Videoprojektionsflächen unterschiedlicher Größe auch zahlreiche Schnüre. Sind es Kabelstränge für die großen Lautsprecherboxen und die Scheinwerferbatterien, Aufhängungen für die Mikrofone (der Radiosender Ö1 hat aufgezeichnet), oder ist es Takellage? Die auftretenden Sänger sind nämlich als verwegene Schiffsbesatzung gekleidet und geschminkt. Unvermittelt wird man an Benjamin Brittens Oper "Billy Budd" erinnert, der eine Erzählung von Herman Melville zugrunde liegt.

Der Schriftsteller ist zwar als Figur "Old Melville" (gesprochen von Johan Leysen) am linken Bühnenrand persönlich anwesend und hat dort neben Büchern auch eine Computertastatur vor sich, doch Neuwirth, die sich seit langem mit dem Werk des großen US-Autors (1819-1891) beschäftigt, widmet sich vor allem einem anderen Buch Melvilles, dem Roman "Moby-Dick". Und auch Bartleby der Schreiber, Held der gleichnamigen Verweigerer-Erzählung, darf in Gestalt von Diseuse Georgette Dee immer wieder sein berühmtes Credo "I prefer not to" zum Besten geben.

Dazu gibt es einen Chor grimmiger Matrosen (die Company of Music) sowie den mausgrau gekleideten und geschminkten Münchner Knabenchor, der hinter dem Podium quasi an der Reling postiert ist. Und natürlich das von Ilan Volkov dirigierte ORF Radio-Symphonieorchester Wien. Es sind viele Schichten, die in diesem "musicinstallation-theatre", von dessen Uraufführung 2012 in Mannheim sich die Komponistin noch vor der Premiere distanziert hat, einander überlagern. Auch in der von Netia Jones inszenierten "konzertanten Aufführung", die mehr einem Oratorium als einem Musiktheater gleicht, ist der Abend eine Überforderung, mit der umzugehen man als Zuhörer eine Strategie entwickeln muss.

Mangels Übertitel bekommt man in der englischsprachigen Aufführung vom Libretto Barry Giffords und von den von Anna Mitgutsch verfassten Melville-Monologen nur Bruchstücke mit. Die politisch-gesellschaftliche Stoßrichtung des Textes als Parabel auf Fremdenhass, Demagogie, Machtversessenheit, aber auch auf die Ausbeutung der Natur, erschließt sich kaum. So konzentriert man sich auf die musikalischen und visuellen Eindrücke, die deutlich weniger schlüssig eine Einheit ergeben wie vor wenigen Tagen bei der Uraufführung von Neuwirths Musik zum Stummfilm "Die Stadt ohne Juden", aber auch noch komplexer gearbeitet sind.

Neuwirth hat großartige Sängerpartien geschrieben, die etwa die dänische Sopranistin Susanne Elmark als Ishmaela, Otto Katzameier als Käptn Ahab, der Countertenor Andrew Watts als Harpunier Queequeg oder Joel Beer mit seinem Knabensopran als Pip bestechend zu nutzen wussten. Sie arbeitet souverän mit den Möglichkeiten der Solostimmen, der beiden Chöre, der Sprechrollen und des Orchesters, türmt, sich erhebenden Wellenbergen gleich, wuchtig und effektvoll Musik übereinander und setzt zwischendurch kleine Effekte - etwa, wenn sich die Klänge einer E-Gitarre durch das wogende Material arbeiten oder Klaus Nomi durchklingt. Diese Musik ist intelligent und effektsicher zugleich und macht viel Vorfreude auf ihr für Dezember 2019 angekündigtes Staatsopern-Auftragswerk "Orlando".

Das von Netia Jones gestaltete Design des Abends und die Ästhetik ihrer mit Überblendungen arbeitenden Videobilder mit Wellen und Wolken, Zahlenkolonnen und kristallinen Gittern, Schiffsdetails, Melville-Großaufnahmen und einem spät auftauchenden weißen Wal, versuchen einen Kurs zwischen Atmosphäre und Abstraktion zu halten. Sie ergänzen diese "für Konzert- und nicht Opernhäuser konzipierte Neuproduktion" um eine Bildspur und nähert sich Neuwirths Begriff eines zeitgemäßen "musicinstallation-theatre". Eine szenische Uraufführung steht weiterhin aus. Und mit ihr die Auslotung des dramatischen Potenzials eines interagierenden Personals von "The Outcast". Gut möglich aber, dass dabei die Frage nach mehr Bühnen- als Binnenhandlung auch von Olga Neuwirth bewusst so beantwortet wird: "I prefer not to".