Als vor 86 Jahren auf dem Lido Neuland betreten wurde, war das ein großer Schritt für die Filmwelt. Damals fand in Venedig schließlich das erste Filmfestival der Welt statt - und damit der Beginn einer bewegten Geschichte: voller glamouröser Star-Auftritte und cineastischer Höhepunkte, aber auch einiger Erschütterungen. Trotzdem hat es bis heute überlebt und feiert nach unregelmäßigen Austragungen in den ersten Jahren dieses Mal sein 75. Jubiläum.

Dazu passt es ja, dass auch im Eröffnungsfilm "First Man" Neuland betreten wird. Zwei Jahre, nachdem sein Oscar-prämiertes Musical "La La Land" zum Start des Festivals abhob, kehrte Damien Chazelle zurück zum Lido mit Ryan Gosling als Neil Armstrong - dem ersten Menschen, der einen Fuß auf den Mond setzte. "Meine Generation ist damit aufgewachsen, dass die Mondlandung mit all ihren ikonischen Bildern Fakt war", erklärte der 33-Jährige Regisseur, der am Mittwoch mit seinen Stars Gosling und Claire Foy unter jubelndem Applaus in der Pressekonferenz in Venedig empfangen wurde. "Je mehr ich darüber erfahren habe, desto faszinierter war ich, was alles dahintersteckte - und wie hoch die Kosten waren; die waren enorm."

In knapp zweieinhalb Stunden zeichnet "First Man" den Weg zu diesem historischen Ereignis von 1969 nach und zeigt dabei auch die Rückschläge und Herausforderungen bei den Vorbereitungsmissionen. All das verbindet er mit einem Einblick in Armstrongs Familienleben. Der Tod der kleinen Tochter bekommt dabei eine zentrale Bedeutung, aber auch der Effekt, den sein Astronautenjob auf die Beziehung zu seiner Frau (Claire Foy) und seine Kinder hat. Das Risiko ist schließlich hoch. Bei Tests kommt es immer wieder nicht nur zu brandgefährlichen Pannen. Einige Kollegen Armstrongs lassen dabei auch ihr Leben.

"Neil war sehr bescheiden und hat den Fokus von sich auf die Menschen gelenkt, die die Mission möglich gemacht haben", erklärte Gosling. "Die Mondlandung wird weitestgehend als Leistung der Menschheit angesehen. Wie auch meine Gespräche mit seiner Familie zeigten, sah er sich nicht als amerikanischen Helden." Der Hollywoodstar, der in Venedig einmal mehr für erhöhtes Euphorie-Level sorgte, spielt ihn entsprechend als amerikanischen Durchschnitts-Familienvater, als ruhigen, emotional eher verschlossener Mann, fast schon ein bisschen langweilig. Letzteres gilt zwischendurch auch für den Film selbst.

Das Drama hat Chazelle über weite Strecken (etwas zu stark) gedimmt. Die Tragödien, die in der Geschichte stecken, werden mit Zurückhaltung auf die Leinwand gebracht. Wirklich packend wird "First Man" vor allem in den Szenen, wenn die Astronauten abheben, die Kamera und damit auch das Publikum ihre Perspektive einnehmen. Das Rütteln, das Zischen, die Enge, der Druck - fast wird der Flug physisch spürbar, und deutlich, welches Vertrauen die Astronauten in die analoge Blechbüchse gehabt haben müssen. "First Man" soll ohnehin weder patriotisches Space-Epos, noch pathetische Heldenfeier sein, auch wenn durchaus eine Bewunderung des damals Möglichen darin steckt.

"First Man" wirkt mit seiner Herangehensweise eher wie eine Gegenthese. Allein schon die Mondlandung, zugespitzt auf einen Trauerbewältigungsmoment Armstrongs, wird vor allem durchströmt von Gefühlen von Traurigkeit und Einsamkeit. Zuvor klingt außerdem auch die Kritik an, die es damals an den Ausgaben für das Programm gab: Die Probleme und Missstände auf der Erde, in den USA, waren eigentlich groß genug. "But Whitey's on the moon", heißt es im Klageblues eines Afroamerikaners in einer Szene. Gerade für eine große US-Produktion kurz vor der Feier des 50. Jahrestags ist der Film ein ungewöhnlicher Rückblick auf die Ereignisse. Weniger erhebend als ernüchternd.