Der Beginn sagt eigentlich schon fast alles: Der niederländische Regisseur Johan Simons verkleinert den irrwitzigen Zusammenprall zweier einander emotional verfallender Kriegshelden auf dem Schlachtfeld bei Troja zu einem Fangenspiel im Halbdunkel. Der völlig aus den Fugen geratende Krieg zwischen drei Parteien verwandelt sich in einen Schlagabtausch zwischen einer „Sie“ und einem „Er“, die einander die hitzigen Kämpfe der rasenden Amazonenkönigin Penthesilea und „ihres Peliden“, des griechischen Helden Achilles, erzählen. Kleists Dramaturgie, mit ihrer ewigen Mauerschau und ihren ellenlangen Berichten, die ohne viel Dialoge auskommt, transformiert Simons zum Pingpong zweier Verliebter, die vor der Intensität ihrer Gefühle erschrecken. Zwei Personen, die in altertümlich gedrechselter Sprache die Beziehungskiste durchwühlen.

Die Schauspielstars Sandra Hüller und Jens Harzer betreten die kahle Szene im Partnerlook, beide tragen lange schwarze Röcke. Sie matchen sich zwei Stunden lang, nichts, was von ihrem Duell/Duett ablenkte, und von Kleists gestochenen Versen (mit denen der Achilles von Harzer mitunter seine liebe Not zu haben scheint). Die Bühne ist fast schwarz, erleuchtet von einem im Boden eingelassenen Lichtquadrat, die Requisiten auf null reduziert. In solch spartanischer Aufmachung verliert die Mesalliance ihre gesellschaftliche Komponente, man lässt den Druck von außen weg, der den zum Zerreißen gespannten Gefühlsirrsinn zusätzlich belastet und dieser Liebe noch weitere Brisanz verleiht. Die Unerhörtheit der Affäre zweier Verfeindeter, die den anderen der Norm gemäß unterwerfen und demütigen sollten, ist ausgeblendet, alle Aufmerksamkeit gelenkt auf Vorgänge zwischen zwei Menschen, die im Innersten getroffen sind von ihrer Zuneigung. Verängstigt, aufgeregt, verdattert. In dieser Präsentation verlorener Individuen ist diese Interpretation sehr heutig.

Kleists Figuren, denen außer ihrer fast schon animalischen Getriebenheit gar nicht so viel Individuelles zu eigen ist, sind hier gewöhnlicher. Hüllers Penthesilea scheint mitunter selbst genervt von ihren überbordenden Gefühlen, die sie im wörtlichen Sinn übermannen. Sie tändelt, tänzelt, wütet, scherzt, neckt, um Kleists viel zitiertes „Beißen und Küssen“ möglichst feinnervig und differenziert auf die Bühne zu hieven. Jens Harzers Achill arbeitet etwas holzschnittartiger, plumper (er ist ja auch der Mann) und, nun ja, theatralischer. Der Held präsentiert sich seiner Amazone ganz nackt und bietet ihr irgendwann sogar die verletzliche Ferse dar. Da wird schließlich geküsst und nur mehr ganz wenig gebissen.
Wie überhaupt der Abend seine dramaturgische Grundthese nicht erfüllt: Die Zerstörungskraft einer alles verzehrenden Liebe, die existenzielle Bedrohung, die von den Leidenschaften ausgeht, ihre unausweichliche Tragik, all das wird auf ein „es ist kompliziert“ zusammengestutzt. Bei Kleist sterben am Ende die Menschen. Mord und Selbstmord seiner Figuren nehmen das reale Schicksal des Dichters 1811, nur drei Jahre nach der Vollendung von „Penthesilea“, vorweg. In ihrer Raserei droht die Liebe gar gesellschaftliche Konzepte und ganze Völker mit in den Abgrund zu reißen. Hier blickt man nur selten in diesen Abgrund, bietet ein fein aufgefächertes Spiel mit Möglichkeiten, wo auch der grausame Tod Gedankenexperiment und Episode bleibt, bevor es zum Schluss wieder ganz von vorne losgeht: als Fangenspiel verunsicherter Kinder.