Die Pfarrkirche Stainz wurde durch die Kirchenkonzerte von Nikolaus Harnoncourt zum Kult- und Pilgerort. In der phänomenalen Akustik des Sakralbaus hat der 2016 verstorbene Künstler fast ausschließlich geistliche Musik dirigiert, ließ sich dabei nicht nur Klassiker, sondern auch unbekannte Literatur aufs Pult legen, bot aber dort wie da im Regelfall Exzeptionelles.

Nun trat der Kolumbianer Andrés Orozco-Estrada das schwierige Erbe an, dirigierte Concentus Musicus Wien und Schoenberg Chor bei Schuberts „Missa Solemnis“ in As-Dur sowie zwei kleineren Werken. Und der Orchesterleiter mit langer Graz-Vergangenheit, der in Wien zum Star reifte, machte seine Sache gut, ja ausgezeichnet. Orozco-Estrada setzt dabei aufs Temperament. Er bevorzugt eher rasche Tempi, ein Forte tendiert beim Südamerikaner schnell einmal zum Fortissimo, Estrada liebt die heftige, saftige Klangattacke, das Schwelgen in dynamischen Kontrasten wie im „et incarnatus est“ und selbst eine Amen-Fuge würzt der künftige Chef der Wiener Symphoniker mit einer Portion Salsa.

Da wird das „Resurrexit“ als Triumphgeste zelebriert, das „Quoniam“ reißt mit, da mutiert das „Magnificat“ schon vor der Messe zum fröhlichen Lärm. Der Schoenberg Chor singt mit enormem Feuer, der Concentus Musicus bietet viele Orchesterfarben, die Solisten – Mezzo Johanna van der Deken, Tenor Johannes Chum und Bass Mathias Hausmann – sind exzellent, wobei Anna Lucia Richters leuchtender Sopran noch herausstrahlt und mit manch aparter Verzierung aufwartet.

Die als Klangwolke ins ganze Land geschickte einstündige Aufführung war wunderbar. Freilich: Bei Nikolaus Harnoncourt erlebte man Elementares, diesmal ein sehr gutes Konzert. Der Unterschied ist nicht gerade klein. Dass der große Alte uns fehlt, gerade diese (hochwillkommene) Wiederaufnahme der Stainz-Tradition führte es schmerzlich vor Augen.