Im Volkstheater Wien haben die Theaterferien begonnen. Am letzten Arbeitstag vor ihrem Urlaub erläutert Direktorin Anna Badora im Interview ihre Entscheidung, sich nicht um eine zweite Amtszeit zu bewerben, zieht ein erstes Resümee und beklagt die ungewisse finanzielle Zukunft des Hauses, die ihr bei der Planung die Hände binde: "Ich will dafür nicht eines Tages vor Gericht gezerrt werden."

Frau Badora, bereits am 3. Mai haben Sie bei der Pressekonferenz für die kommende Saison, die nun ihre vorletzte sein wird, recht deutlich gesagt, dass es wenig Sinn habe, sich für eine zweite Amtszeit zu bewerben, wenn der Rückhalt in der Politik fehlt. Was ist bis zum 26. Juni, als Sie Ihren Verzicht auf eine mögliche Vertragsverlängerung bekannt gaben, passiert - oder ist eben nichts passiert?

Anna Badora: Beides. Einerseits wurde mir in sehr ausführlichen Gesprächen mit der neuen Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler klar, dass sie das Volkstheater radikal neu denken und bei dieser Entscheidung frei und unbeeinflusst vom Bisherigen sein möchte. Es waren gute Gespräche, aber ich habe gemerkt, dass unsere eigenen Überlegungen vielleicht nicht ganz damit zusammengehen. Andererseits habe ich trotz aller Bemühungen keine Möglichkeit bekommen, mit dem neuen Kulturministerium zu kommunizieren.

Das Ministerium hat sofort klargestellt, dass es sehr wohl Gespräche gegeben habe, nur dass der kaufmännische Geschäftsführer Cay Urbanek der Ansprechpartner war.

Badora: Am 23. Jänner haben Cay Urbanek und ich Minister Blümel per E-Mail um einen Termin gebeten, um ihm die Situation des Volkstheaters erläutern zu können, ohne Rückmeldung. Danach haben wir uns mehrere Male über unsere Büros bemüht, diesen Termin zustande zu bringen. Es folgte keine Reaktion, nicht mal eine Absage. Im April habe ich mich erneut um einen Termin bemüht, diesmal alleine, um unsere künstlerischen Pläne noch vor der Pressekonferenz vorzustellen, wie es guter Brauch ist. Wieder keine Reaktion, auch nicht, als ich schrieb, dass ich als Vizepräsidentin der Europäischen Theaterunion ein ausfinanziertes internationales Projekt vorstellen wollte, das Österreich in der EU-Ratspräsidentschaft kulturell sicher schmücken würde.

Anfang Juni wurde Cay Urbanek dann endlich ins Ministerium gerufen, um den Sachbearbeitern einige Fragen zur Sanierung zu beantworten. Unsere Dreijahresplanung 2019-2021 wäre bereits im März 2018 fällig gewesen. Aussagen dazu gibt es bis zum heutigen Tag vom Ministerium nicht.

Das Volkstheater, ein Sanierungsfall.
Das Volkstheater, ein Sanierungsfall. © APA/GEORG HOCHMUTH

Sie haben den Zeitplan der Sanierung zwar neu aufsetzen müssen, dennoch sollte sie noch in Ihrer Direktion über die Bühne gehen. Ist die Sanierung wieder gefährdet?

Badora: Was die Sanierung angeht, werden wir alle am Haus weiterhin unser Bestes versuchen. Die letzten offiziellen Zeilen, über die wir verfügen, sind ein gemeinsamer Brief von Kulturminister Drozda und Finanzminister Schelling (beide nicht mehr im Amt, Anm.), die uns 12 Mio. auch vom Bund zusichern. Wir gehen also davon aus, dass das noch gültig ist. Mindestens genauso problematisch: Wir haben noch keine akkordierte Budgetplanung für 2019-2021. Die Saison 2018/2019 ist längst fixiert. 2019/20 planen wir, ohne genau zu wissen, woran wir sind. Ich muss Verträge machen und versuche das, solange es geht, hinauszuzögern. Ich will dafür nicht eines Tages vor Gericht gezerrt werden.

Sie haben erklärt, Sie werden sich nicht mehr für eine zweite Amtszeit bewerben, da sich "durch verschiedene Umstände" die Situation des Volkstheaters geändert habe. Welche Umstände meinen Sie?

Badora: Am Anfang habe ich schon Einiges dazu gesagt. Hinzu kommen mangelnde Kommunikation mit dem Bund und fehlende Planungssicherheit. Und die ist uns besonders wichtig nach den Turbulenzen der ersten Spielzeiten: Als wir hier angetreten sind, stand die Schließung der Werkstätten bevor, die vor meiner Zeit beschlossen wurde. Diese Maßnahme war substanziell für den Erhalt des Theaters - immerhin produzieren wir jetzt zu knapp 50 Prozent der damaligen Kosten. Freunde hat mir die Schließung keine gebracht.

Aber Sie wurden nicht davon überrascht, sondern wussten, worauf Sie sich einließen?

Badora: Ja, aber wir hatten so wahnsinnig viel anzupacken, das mit der Kunst nichts zu tun hatte. Auch die Kostümwerkstätten haben wir um die Hälfte reduziert. Die substanzielle Verbesserung hat stattgefunden. Aber das war noch immer nicht ausreichend. Und dann die Sanierung, die wir ganz anders geplant hatten, die viele Kapazitäten gebunden hat und noch tut. Wir haben nie eine Normalität erlebt. Und die ständige Unruhe hat uns in der künstlerischen Entfaltung behindert.

Woran sind Sie nun aber letztlich gescheitert?

Badora: Wir am Haus sehen uns nicht als gescheitert. Es besteht bis heute eine riesige Diskrepanz zwischen unserem Wollen, Können, Tun und der Außenwahrnehmung.

Sie können aber wohl nicht bestreiten, dass Sie weniger Publikum erreicht haben als einkalkuliert?

Badora: Wir haben uns die Zahlen der ersten Jahre der Direktion von Michael Schottenberg angesehen. Ihm ging es sehr ähnlich wie uns, ähnlich niedrige Auslastungszahlen. Das weist auf bestimmte Strukturprobleme hin, nicht auf die Unfähigkeit der Theatermacher. Wir haben ohne Zweifel neue Publikumsschichten gewonnen - es waren bisher nur zu wenige und es dauert länger als geplant. Es ist uns in der Tat noch nicht gelungen, die Stadt im notwendigen Ausmaß für unsere Arbeit zu interessieren. Vielleicht sind in der Stadt auch die Felle bereits zu eindeutig verteilt.

Die Positionierung dieses großen Hauses zwischen Burgtheater und Josefstadt galt schon immer als schwierig.

Badora: Wir haben einen Spagat versucht. Die einen haben gesagt, wir seien zu radikal, die anderen haben Radikalität vermisst. Dadurch haben wir zunehmend Kritik von beiden Seiten bekommen. Künstler wie Yael Ronen, die überall sonst für volle Häuser sorgen, haben hier nur einen treuen Fanclub, nicht mehr. Wir haben ganz viele Initiativen gesetzt, von Stadtprojekten bis zu den arabischen Übertiteln bei "Nathan", für die ich von vielen Leuten begeisterten Zuspruch erhalten habe. Sicher braucht es mehr Zeit, damit diese Arbeit wirklich greifen kann. Bei "Lazarus" hätten wir jetzt gut und gerne um die Hälfte mehr Karten anbieten können.

Wie haben Ensemble und Belegschaft des Volkstheaters Ihre Entscheidung aufgenommen?

Badora: Alle haben gehofft, dass wir jetzt endlich mal künstlerisch durchstarten können. Nun herrscht große Trauer. Ich hoffe, wir können diese Stimmung umdrehen in ein "Jetzt erst recht!" Vielleicht hilft meine Entscheidung ja auch, dass die verantwortlichen Kulturpolitiker dann, wenn sie das künftige Gesicht des Volkstheaters nach ihren eigenen Vorstellungen selber neu entwerfen können, ihm auch die dazu notwendigen Mittel zukommen lassen.

Steht humanistisches, progressives Theater in einer gesellschaftlichen und politischen Gegenwart, in der man Grenzen betont und der Nationalismus ein Comeback feiert, insgesamt auf verlorenem Posten?

Badora: Diese Frage diskutieren wir sehr intensiv in der Europäischen Theaterunion. Ich finde, dass Theater die Verpflichtung hat, sich gegen den Populismus zu stellen. Die jetzigen Theatermacher sind alle mit Kontroversen groß geworden, in denen es wichtig war, auch die andere Meinung zu hören. Anscheinend ist das Interesse daran verloren gegangen. Der Blick wird heute zunehmend enger statt weiter - ein scheinbares Paradoxon im Internet-Zeitalter. Aber die Auseinandersetzung mit dem Anderen, dem Fremden ist kein Wert mehr an sich. Diese Haltungen auf der Bühne zu zeigen ist also wichtiger denn je. Die Suche nach den richtigen Mitteln, mit denen wir das Publikum damit erreichen, wird allerdings immer schwieriger.