Für ein Reich, in dem die Sonne niemals untergeht, ist es ziemlich dunkel in diesem Spanien, das Martin Kušej am Münchner Residenztheater für "Don Karlos" geschaffen hat - und totenstill. Wie Schillers dramatisches Gedicht selbst steht der viereinhalbstündige Abend zwischen den Welten: nicht zwischen Sturm und Drang und Klassik, sondern zwischen aalglattem Mafiatreffen und düsterem Kostümfest.

Das gefiel bei der Premiere am Donnerstag nicht allen: Applaus für starke Schauspielleistungen und Buh-Rufe für den Intendanten beschlossen einen Abend, dessen Genauigkeit sich immer wieder in Langsamkeit ausdrückt. Als hätte man die Vorhänge im Palast des Königs Philipp II. fest zugezogen, um keinen Lichtstrahl der Aufklärung hineinzulassen, lebt der Hofstaat im Schatten des despotischen Monarchen, den wiederum die Kirche fest im Griff hat. Im schwarzen Bühnenraum von Annette Murschetz sind es fast ausschließlich scharfe Lichtkegel, die jene Räume schaffen, in denen der Königssohn Karlos in eine Intrige nach der anderen verwickelt wird.

Mit Schnickschnack hält sich Kušej da nicht lange auf: Kreisen zu Beginn noch zwei mit kleinen Scheinwerfern ausgestattete Drohnen einen Überwachungsstaat andeutend im Bühnenraum, ist es vor allem Schillers Blankvers, der in weiterer Folge den meisten Raum einnimmt. Immer wieder drosselt der künftige Burgtheaterdirektor aufkeimendes Tempo, zelebriert bedeutungsvolle Pausen und lässt das stille Dunkel wirken. Besonders in der zweiten Hälfte des Abends, in der die Verstrickungen am Hof immer undurchsichtiger werden, bietet dieser Ansatz Möglichkeit zur Reflexion des Gesagten, birgt aber auch die Gefahr, angesichts der Düsternis und der fortgeschrittenen Stunde ein wenig abzudriften.

Mit Thomas Loibl als Philipp II. herrscht ein verbissen engstirniger, brodelnd gewalttätiger Boss über seinen in dunkle Anzüge und Sonnenbrillen gewandeten Hofstaat, der schon mal mit halbautomatischen Schusswaffen anrückt, um dem Willen des Herrschers Nachdruck zu verleihen. Da ist sein Sohn Karlos (Nils Strunk), der durchaus rebellisch in schwarzer Kapuzenweste und Skinny-Jeans in den Abend stolpert und sich rasend vor Liebe nach seiner Stiefmutter verzehrt, ein Störfaktor im Streben nach langfristigem Machterhalt. Und so beginnt ein immer undurchsichtiger werdendes Intrigenspiel, das am Ende selbst die Strippenzieher Herzog von Alba und den Beichtvater Domingo mitreißen wird. Während Marcel Heuperman seinen Alba als machtgeilen Typen in Bodyguard-Optik gibt, ist Thomas Lettows Pfarrer sich seiner Stellung außerhalb des Diktats des Königs stets erhobenen Hauptes bewusst. Doch sie rechnen nicht mit der Macht des aufgeklärten Marquis von Posa, den Franz Pätzold als intellektuellen Emporkömmling anlegt und in seiner Intensität zum Dreh- und Angelpunkt der Inszenierung macht.

Bei so viel männlichem Machtstreben bleiben die beiden wichtigen Frauen - Lilith Häßle als distanzierte Königin Elisabeth und Meike Droste als verlogene Mätresse Eboli - ein wenig außen vor. Sie sind mehr Instrumente im Intrigenkarussell als eigenständig ein persönliches Ziel verfolgende Charaktere. Während der Hof in den ersten beiden Akten mehr an ein straff organisiertes Kartell erinnert, in dem die gelangweilten Frauen sich hinter ihren Designerklamotten und Sonnenbrillen verstecken, verwandelt er sich zunehmend in jenes monarchische Setting, in dem Gehrock, Miederkleid und Rüschenkragen den Außenauftritt bestimmten. Regression statt Aufbruch. Machterhalt durch Gewalt statt Friede durch Versöhnung. Ein nachdenklicher, klar gearbeiteter Abend, dessen Längen dem Bestreben geschuldet sind, die vielen Verzweigungen des Stücks aufzufächern. Eine Portion Durchhaltevermögen muss man als Zuschauer da schon mitbringen.