Geboren wurde Thomas Jonigk am 4. März 1966 im schleswig-holsteinischen Eckernförde. Nach dem Studium begann Jonigk bald als Regisseur und Theaterautor zu arbeiten, unter anderem an der Berliner Volksbühne und am Wiener Schauspielhaus. Zwischen 2006 und 2011 war er Hausautor und Dramaturg am Düsseldorfer Schauspielhaus und hatte bis 2013 dieselbe Funktion in Zürich inne. Mit der APA sprach der Neo-Musiktheaterregisseur über seinen späten Start, die Vielstimmigkeit seines Lebens und darüber, weshalb Sänger professioneller als Schauspieler sind.

Sie sind seit Jahren eng mit dem Musiktheater verbunden. Weshalb erfolgt erst jetzt Ihr Debüt als Opernregisseur?

Thomas Jonigk: Ich hatte keine Angebote. Ich komme ja ursprünglich vom Sprechtheater, weil ich zunächst als Theaterautor gearbeitet habe. Und zwischen diesen beiden Bereichen gibt es überhaupt keine Verbindung. Die Leute wissen nicht voneinander - das sind vollkommen getrennte Welten. Ich habe aber schon seit Jahren davon geredet, dass ich unbedingt Opernregie machen möchte, weil ich persönlich die Oper viel mehr mag als das Schauspiel. Da bin ich also immer im Konflikt mit meinem eigenen Beruf. (lacht)

Und wie fällt nun Ihr erster Vergleich aus?

Jonigk: Die Kommunikation zwischen Regisseur und Sängern ist vollkommen anders als zwischen Regisseur und Schauspieler. Schauspielern muss man immer das Gefühl geben, dass sie alles selbst erfunden haben und man als Regisseur nur zufällig dabei sitzt. Dass man die Gruppe anleitet oder die Kontrolle hat, muss man immer kaschieren, um den Eindruck einer Ensembleleistung herzustellen. Deshalb muss man flexibler sein, und die Proben sind weniger vorgefertigt. Manche Schauspielproben stürzen furchtbar ein, weil alle mit einer schlechten privaten Stimmung kommen und das auf die Figuren, die sie spielen, projizieren. Bei Sängern ist das ganz anders. Die sind viel professioneller: Sänger sind immer vorbereitet und können ihre Rolle. Und sie haben eine gewisse Demut gegenüber der Regie, weil sie wissen, dass sie im Bereich des Schauspiels Hilfe brauchen. Deshalb war die jetzige Erfahrung für mich sehr erfreulich: Alles, was ich angeboten habe, wurde freudig angenommen, und es gab überhaupt keine Diskussion! Trotzdem ist es dann eine Art Ensemblearbeit geworden, weil alle ermutigt wurden, ihre Ideen beizusteuern.

Sie haben also einerseits mehr Gestaltungsmacht, sind andererseits aber auch limitierter, da Sie in der Oper ja weit weniger in den Text eingreifen können denn im Schauspiel...

Jonigk: Ich fühle mich freier. Auch haben wir eine sehr starke Bearbeitung von "Pelleas et Melisande" erstellt. Ich habe einzelne Szenen gestrichen, manche stummen eingefügt, die es im Original nicht gibt.

War es schwierig, dies durchzusetzen, zumal Sie im Musiktheater mit dem Dirigenten ja einen zweiten Machtpol neben sich haben?

Jonigk: Das ist hier ein sehr intelligentes Team. Sobald ich konkret begründen konnte, warum ich etwas einfügen oder streichen möchte, stieß das immer auf offene Ohren.

Zugleich haben Sie sich mit "Pelleas et Melisande" angesichts seines hohen Abstraktionsgrades nicht das einfachste Stück für ein Debüt ausgesucht.

Jonigk: Es war aber mein Wunsch. Ich fand immer die Arbeiten am langweiligsten, die das Mysteriöse und Rätselhafte betont haben. Die Musik hat ohnedies das Enigmatische, da hatte ich immer die Sehnsucht zu konkretisieren und einen zwingenden Roten Faden in die Figuren zu bringen. Man kann das Stück aber auch nicht nur als Familiendrama erzählen. Es gibt immer noch eine Macht, die größer ist als die agierenden Menschen. Man muss die Figuren in ihrer Psychologie ernst nehmen und das Rätselhafte des Abends nicht verleugnen. Und nun gibt es einen Prolog, der für die Erzählstruktur sehr wichtig ist: Ich erzähle den Abend als Erinnerung der Melisande.

Melisande stirbt bei Ihnen am Ende also nicht?

Jonigk: Die Grundprämisse ist, dass sich Melisande zu Beginn an die gescheiterte Beziehung zu Pelleas erinnert. Der Tod innerhalb der Oper verleugne ich nicht, aber man kann ihn auch als Symbol für das Ende der Beziehung sehen. Die Doppeldeutigkeit ist dem Abend jetzt eingeschrieben. Und zugleich haben wir eine Atmosphäre von Alice im Wunderland bemüht. Melisande und Pelleas sind sehr heutige Figuren, die anderen sind etwas entrückter. Wir haben auch zwei Kinder auf der Bühne, die eine Art Traumbild der beiden darstellen. Den Yniold singt aber die Melisande als Sopran selbst - ich wollte auf jeden Fall einen Knabensopran vermeiden, weil ich das schwer auszuhalten finde.

Allgemein betrachtet sind Sie als Autor in so ziemlich jeder Sparte unterwegs: Wovon machen Sie es abhängig, in welcher Form Sie eine Idee umsetzen?

Jonigk: Einen Roman schreibe ich, wenn ich das Bedürfnis habe - dafür brauche ich keinen Auftrag. Für ein Libretto hingegen schon. Das würde ich nie einfach so schreiben, was auch für Theaterstücke gilt. Da bin ich insofern weniger frei, als es erscheinen mag.

Und diese Vielstimmigkeit Ihres künstlerischen Ausdrucks wollen Sie auch künftig beibehalten, oder erleben wir nun die Geburt des exklusiven Opernregieexperten Thomas Jonigk?

Jonigk: Diese Vielstimmigkeit scheint doch etwas zu sein, das mit mir zu tun hat. Am Beginn dachte ich immer, ich müsse mich entscheiden. Aber ich glaube, die Autorenschaft in verschiedenen Formaten und das Regieführen in Theater und Oper wird mich weiter begleiten.