Eine orientalische Ikone als Festivalbeitrag mit Österreich-Bezug: Die iranische Filmemacherin Shirin Neshat hat mit "Looking for Oum Kulthum" gestern, Samstag, bei den 74. Filmfestspielen Venedig Premiere gefeiert, und in der Koproduktion mit der heimischen Coop99 dem westlichen Publikum eine Heroin der arabischen Musik nähergebracht - in stimmungsvollen, aber etwas langatmigen Bildern.

In der Autorenkino-Reihe "Giornate degli Autori" ist außer Neshat, die mit diesem Film eine neuerliche Zusammenarbeit mit dem Wiener Kameramann Martin Gschlacht präsentiert und die Innenaufnahmen vorrangig in Wien gedreht hat, eine zweite österreichische Produktion vertreten: In der kommenden Woche feiert Ruth Maders "Life Guidance" mit Florian Teichtmeister Premiere. Und mit "Ha Edut - The Testament" ist in der Reihe "Orizzonti" auch eine österreichisch-israelische Koproduktion zu sehen. Für die Premiere von "Oum Kulthum" reiste auch Kulturminister Thomas Drozda (SPÖ) an - und sieht "eine besonders interessante Reflexion über das eigene Medium", wie er der APA am Rande der Premiere sagte.

Denn Neshat drehte eben kein Biopic der ikonischen ägyptischen Sängerin Oum Kulthum (1904-1975), sondern erzählt von einem Film im Film. Von einer Künstlerin, die über eine Künstlerin arbeitet, einer Regisseurin, die Oum Kulthum sucht und sich selbst findet. "Ich hatte schon immer eine Obsession für Frauen", sagt Neshat nach der Premiere. "Und für Musik. Sie steht in allen meinen Untersuchungen über sozioökonomische Umstände für das Menschliche." Die Bedeutung Oum Kulthums in der arabischen Welt ist für westliche Maßstäbe vielleicht am ehesten mit einer Figur wie Maria Callas vergleichbar - nur mit ungleich stärkerer gesellschaftspolitischer Konnotation.

Ein Nationalsymbol

Kulthum war eine enge Freundin des ägyptischen Generals und späteren Präsidenten Ägyptens Gamal Abdel Nasser und avancierte in ihrer langen Karriere nicht nur zum Nationalsymbol, sondern zu einer Inspirations- und Identifikationsfigur für den gesamten arabischen Raum. Als Frau aus dem Mittleren Osten erfülle es sie "mit großem Stolz, die Geschichte über diese wichtigste Künstlerin der arabischen Welt im 20. Jahrhundert dem Westen zu erzählen", sagte Neshat. Und hat aus der historischen Geschichte dennoch eine persönliche gemacht. Ihr Alter-Ego ist Mitra (Neda Rahmanian), eine iranische Regisseurin im Exil, die einen Film über Oum Kulthum dreht und für ihren Erfolg und ihre künstlerische Vision ihren Sohn im Iran zurückgelassen hat.

Neshat, die internationale Bekanntheit über die Fotografie erlangte, 1999 in Venedig einen Goldenen Löwen für ihre Videoinstallationen erhielt und 2009 am Lido für "Women Without Men" mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet wurde, erzählt auch hier mit einem eindringlichen Gespür für Bildkomposition und mit ruhiger Hand, die lieber verharrt und nachspürt, als der Handlung Drive zu verpassen. Dabei bleibt mitunter auch die Schlüssigkeit des Plots auf der Strecke und die Figuren in dieser Hommage an Oum Kulthum (gespielt und eindrucksvoll gesungen von Yasmin Raeis) leiden an ähnlich anämischen Symptomen wie Neshats Sänger in ihrer ersten Opernregie - der vielbeachteten, aber vehement kritisierten "Aida" bei den gerade zu Ende gegangenen Salzburger Festspielen.

Mehr Fotografin als Regisseurin, vertraut Neshat lieber dem Bild als dem Darsteller, setzt auf ästhetische Formgebung statt auf glaubwürdige Charakterzeichnung, lässt den Zuschauer schauen, aber kaum mitfühlen. Das Festivalpublikum reagierte mit entsprechender Anerkennung, aber ohne Enthusiasmus auf "Looking for Oum Kulthum". Unterdessen ist Neshat in Venedig allerdings auch als Bildende Künstlerin präsent: Das Museo Correr zeigt parallel zur Kunstbiennale noch bis Ende November eine Personale, unter anderem mit Neshats ikonographischen Kalligraphie-Fotos.