Cesare Lievi hat für das Stadttheater Klagenfurt bereits das Märchen „Die wilden Schwäne“ geschrieben, zur Saisoneröffnung im Herbst arbeitet er an dem Stück „Hier steh ich nun. Ich kann nichts anders“. Die zweisprachige Koproduktion mit acht Schauspielern (vier Italiener, vier Deutschsprachige) wird in Klagenfurt uraufgeführt und dann u. a. in Rom, Bologna und Modena gezeigt. Trotz des Luther-Zitats im Arbeitstitel ist es, wie Lievi betont, „kein historisches Stück über Luther, sondern soll als assoziativer Bilderbogen zeigen, welche Verbindungen es zwischen uns und der Zeit, dem Denken und dem Glauben von Luther gibt“.

In der Matinee haben Sie bei der Lesung von Irene Kugler und Cornelia Köndgen als Vera und Clara richtig mitgewippt. Wie wichtig ist der Rhythmus von Thomas Bernhards Text für Sie?
CESARE LIEVI: Bei Bernhard muss man zuerst die Situation verstehen und die Logik dahinter erkennen, aber der Rhythmus der Sprache ist bei der Inszenierung unerlässlich. In diesem Fall ist es besonders kompliziert, weil Vera und Clara beim Sprechen mit anderen Dingen beschäftigt sind. Die eine bügelt und die andere näht. Da muss man die Situation, die Übergänge, die Absicht hinter jeder Phrase, Bewegung und Sprache zusammenführen.


Haben Sie Thomas Bernhard persönlich kennengelernt?
Si! Bald nach meiner ersten Arbeit am Burgtheater, das war 1988. Ich bin übrigens, bevor ich ihn kennengelernt habe, über Thomas Bernhard an die Burg gekommen. Er hat mich und meinen Bruder Daniele mit den Worten empfohlen: „Da gibt es zwei verrückte Italiener, die Hofmannsthal in Heidelberg inszenieren.“


Wie haben Sie Bernhard erlebt?
Er war ein lustiger Mensch, auch ein bisschen Dandy, saß gerne im Café, um Zeitungen zu lesen. Wir hatten eine ganz gute Beziehung.


Das heißt, Sie haben auch den Skandal um „Heldenplatz“ am Wiener Burgtheater unmittelbar miterlebt?
Ja, ich war damals da. Bei Heldenplatz, wie soll ich sagen: Ich mag Bernhard, aber manchmal bellt er. Wenn ein Dichter bellt, ist das nicht so gut, und in „Heldenplatz“ bellt er ein bisschen zu viel. Dadurch verschieben sich die Proportionen. Ein Dichter muss am Ende immer singen, auch wenn er etwas Schreckliches und Schlimmes zu sagen hat ...


Ihr Vorschlag für das Bühnenbild wurde zunächst eher skeptisch aufgenommen. Verraten Sie schon, wie es ausschaut?
Die erste Szene spielt in der Ruine eines Hauses. Hier leben diese beiden Frauen in einem Albtraum, der die Vergangenheit der Familie ist. Auch ihr Gespräch ist immer an der Grenze zum Wahnsinn, sie müssen sich ständig mit dieser Zerstörung auseinandersetzen, belauern sich gegenseitig. Mit dem Bruder kommt der schöne Schein, die ordentliche Familie.


Diese drei Monster sind doch furchtbar. Was ist das Schöne an dem Stück?
Das Schöne ist die Fähigkeit der Schauspieler, diese Monsterwelt zu zeigen. Und zwar auf eine Art, dass ich die Kraft bekomme, mich von den Ängsten dieser schlechten Welt zu befreien. Es erdrückt mich nicht.


Hängt das auch damit zusammen, dass man Aspekte dieser Welt, die Bernhard zeigt, auch selber kennt?
Natürlich. Wir sind fasziniert von dieser schlechten Welt, aber dank der Kunst erdrückt sie uns nicht, sondern erweckt unseren Widerstand. Denken Sie an die alten Griechen mit ihren Tragödien. Das scheint ja verrückt, dazusitzen und furchtbare Sachen anzuschauen. Aber wenn etwas gut gemacht ist, dann ist man vom Schrecklichen auch befreit.

Sie sagten, „Vor dem Ruhestand“ erinnere Sie von der Struktur an Jean Genets „Die Zofen“.
Zwei Zofen und eine Madame finden hier die Entsprechung in den zwei Schwestern, die ihrem Bruder zu Diensten sind. Bernhards Thema ist ja nicht das Nazitum, sondern seine Themen sind Krankheit, Tod und die Kunst. Also, wenn schon Nazithema, dann muss es ein bisschen komplizierter sein. Gegen die bürgerliche Familie, gegen eine bestimmte Art, die Welt zu sehen, die natürlich mit den Nazis zu tun hat, aber auch davor schon da war. Auch die Beziehung der drei zueinander. Vera schläft ja mit dem Bruder, weil alles in der Familie bleiben muss. Das hat mit Genet viel zu tun, auch das Rituelle. Man braucht ein Ritual, um das Nazitum in Erinnerung zu behalten und um die Kraft zu bekommen, dass das wieder aufersteht – lauter Themen von Genet.


Haben Sie auch ein Ritual?
Nach dem Theater essen gehen. Aber das ist nicht so bedeutend wie das von Rudolf.