Der gute Mann, obwohl ohnehin schon ein Gigant, wächst in der Krise offenbar noch höher über sich hinaus: Im April 1970 erschien mit „McCartney I“ das erste Soloalbum des Ex-Beatles, das auch jene berühmte Presseerklärung enthielt, in der er die Implosion der „Fab Four“ schriftlich niederlegte.

Das Album selbst – im Alleineingang aufgenommen – war eine ruppige, schmerzhaft schöne, oft nur fragmentarische Songsammlung. „McCartney II“ erschien 1980, also zehn Jahre später, war wieder ein buchstäbliches Solo-Album, entstand nach der Auflösung der Wings und hatte wieder eine dunkelgraue Grundierung.

Jetzt also: „McCartney III“. Die Krise heißt diesmal Corona, aufgenommen hat der inzwischen 78-Jährige dieses auch als solches deklarierte Lockdown-Album in seinem Studio in Sussex, und wenn die Pandemie auch ihre guten Seiten hat, dann sind es wunderbare Musikwerke wie diese, die ihre Kraft und ihren Spirit offenbar aus der Einsamkeit und Ratlosigkeit der allgemeinen Situation beziehen.

Denn „McCartney III“ ist eine wahre Wundertüte an Einfällen, Stilen und Richtungen. Bereits der Opener „Long Tailed Winter Bird“ – ein Instrumental mit nur wenigen Worten Text – ist eine hinreißende Überraschung mit einem mörderischen Riff. Hier ist jemand lustvoll und (scheinbar) absichtslos am Werk, der alles kann, alles erreicht hat, nichts mehr beweisen muss und frei wie ein Vogel den Flügen seiner Inspirationen folgen kann.

Fluffige Pop-Songs sind auf diesem tiefenentspannten Album ebenso enthalten wie tscheppernde Garage-Kracher („Sliding’“), die einem Jack White zur Ehre gereichen würden.

Im zentralen Stück „Deep Deep Feeling“ mäandert McCartney acht Minuten lang als Soul-King durch die Gefühlswelten, Titel wie „Lavatory Lil“ hätten gut und gerne auf dem „White Album“ Platz gehabt.

Alle Instrumente spielt der Sir selbst. Das Resultat klingt unglaublich zeitgemäß, fast beiläufig und immer spannend. So hört sich das an, wenn sich ein Pop-Genie nichts pfeift!

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