Wer kennt sie nicht, die "Opera Toilet" in der Karlsplatz-Passage? Rund um diesen Ort, "KärntnerEckeRing", hat der 1980 geborene Kärntner Paul Auer sein Debüt angesiedelt, das drei Menschen und deren Verstrickungen über einen kurzen, aber heftigen Zeitraum folgt. Ausgehend vom wohl bekannteste Klo Wiens entspinnt sich eine melancholische Geschichte rund um verlorene Gestalten und ihre Träume.

Da ist der verschrobene Großbürger Ludwig Bilinski, ehemaliger Journalist der "Arbeiterzeitung" und heimlicher Monarchist, der dem Wien der Jahrhundertwende nachtrauert und sich von einem Modellbauer ein Stadtbild ganz nach seinem Geschmack basteln lässt. In besagter Toilettenanlage trifft er regelmäßig den jungen ehemaligen Neonazi Norbert, um seinen homoerotischen Gelüsten nachzugehen. Norbert ist vor einiger Zeit auf die schiefe Bahn geraten, hat sich ein Hakenkreuz auf den Bauch tätowieren lassen und sich von seiner Mutter abgewendet, die ihm den Vater vorenthalten hat. Genau sie, eine frustrierte Verkäuferin in einer Trafik am Westbahnhof, umgarnt Bilinski ebenfalls. Fertig ist eine Dreiecksgeschichte, die so manche Gräben aufreißt und alle drei in einen unaufhaltsamen Strudel zieht, der ab der ersten von 190 Seiten in seinen Bann zieht und den Leser nicht mehr loslässt.

Verantwortlich dafür ist nicht nur Auers Sinn für sprachliche Nuancen, sondern auch die gewählte Erzählhaltung: Der alte Bilinski wird in der Sie-Form - es könnte sich um ein Verhör oder ein Therapiegespräch handeln, in dem noch einmal die Ereignisse aufgerollt werden - angesprochen. "Dass Ihre Mutter das Bett nicht mehr verließ; Ihre Großmama nie außer Haus ging; Ihr Vater umso abwesender war (...) - all das fügte sich später zu einem Präludium voller Dissonanzen." Derart führt Auer sehr direkt und dennoch bildstark in die Welt des verschrobenen Alten ein, der nach seinem Rauswurf bei der "Arbeiterzeitung" dank eines großen Erbes sein Leben als Privatier fristet.

Weitaus atemloser, im Ton rauer und weniger distinguiert nähert sich Auer seinem Protagonisten Norbert, dessen Leben vor langer Zeit in seine Einzelteile zerfallen ist und der seine Tage zwischen Alkohol, Haschisch und einem Einbeinigen verbringt, der ihn auf seiner Couch beherbergt und den jungen Mann behutsam ermuntert, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Bald wird klar, dass Norbert von einem einst bekannten Wiener Musiker abstammt, der laut seiner Mutter jedoch früh gestorben ist. Dass es sich hier um eine Lebenslüge handelt, wird klar, als sich Auer der Mutter widmet. Abwechselnd mit den Kapiteln über Bilinski und Norbert führt er in ihre kleine Welt, die aus dem Hinterzimmer der Trafik besteht und lediglich durch Bilinskis Besuche am Samstagvormittag erhellt wird. Tamara ist eine Frau, die alles falsch gemacht hat, mit den Männern und auch mit ihrem Kind, und die ihre Daseinsberechtigung in der Reaktion anderer zu finden sucht.

Was Norbert am Zentralfriedhof über seine Mutter erfährt, Bilinski mit dem Leserbriefschreiber Franz Bierheber zu tun hat und zu welchem Ende Bilinskis großer Traum eines durch die architektonischen Sünden des 20. Jahrhunderts bereinigten Wiens kommt, sei an dieser Stelle nicht verraten. Paul Auers Romandebüt unterhält von der ersten bis zur letzten Seite, fordert durch die zahlreichen Perspektivenwechsel heraus, spielt mit Traum und Wirklichkeit und führt vor Augen, wie sich Begegnungen schwerwiegend auf weitere Lebenswege auswirken können. Ein starkes Debüt, das Lust auf mehr macht.

Paul Auer: "Kärntner Ecke Ring", Septime Verlag, 190 Seiten, 20 Euro.