Erwin Piscator (1893–1966) war ein Pionier des Theaters. Der gebürtige Ulmer galt vor dem 2. Weltkrieg mit seinen experimentellen Ideen als prägender Theatermann in Deutschland und schuf mit Bert Brecht das politische „Epische Theater“. 1931 emigrierte Piscator zunächst in die Sowjetunion und dann in die Vereinigten Staaten und kehrte nach Repressalien in der McCarthy-Ära 1951 wieder in seine Heimat zurück, wo er unter anderem die Intendanz an der Freien Volksbühne in West-Berlin übernahm. Dabei erregte er nach 20 Jahren im Exil mit scharfsichtigen Inszenierungen von Gegenwartsstücken zur NS-Vergangenheit Aufsehen.

1985 gründete der aus Wuppertal stammende Regisseur Gregorij H. von Leitis ihm zu Ehren in den USA die Erwin Piscator Award Society. Diese vergibt auf Anregung von Maria Ley, der zweiten Ehefrau des Avantgardisten, seit 1986 jährlich die undotierten Piscator Awards an prominente Theater- und Filmschaffende oder andere Personen aus dem Kulturbereich, die mit den Mitteln von Kunst und Kultur zur Verbesserung des Menschen beitragen. Bisher wurden u. a. Giorgio Strehler, Robert Wilson, Peter Zadek, Kurt Masur, Anna Moffo, Thomas Hampson oder die soeben auch bei der Diagonale gefeierte Schauspielerin Christine Ostermayer gewürdigt. Vor zwei Jahren ging einer der drei Preise an Helga Rabl-Stadler, die Präsidentin der Salzburger Festspiele wurde „für ihr großartiges jahrzehntelanges Engagement für die Kunst“ geehrt.

Gregorij H. von Leïtis (76), selbst ganz Bühnenmensch und vormals Gastregisseur an den Landestheatern Linz und Bregenz, ist mit seiner Non-Profit-Organisation „Elysium – Between Two Continents“ (New York/München) der Ausrichter des Piscator-Preises. Er verriet der Kleinen Zeitung exklusiv schon jetzt den heurigen Preisträger, weil dieser mit Graz zu tun hat: Die Auszeichnung geht nämlich an Alhierd Bacharevič.

Der Autor aus Belarus (Weißrussland) ist zusammen mit seiner Frau Julia Cimafiejeva seit 20. November „Writer in Exile“ in Graz. Bacharevič wurde 1975 in Minsk geboren, er ist Schriftsteller, Dichter und Übersetzer deutscher Literatur, unter anderem von Hans Magnus Enzensberger. Beide versprachen bei ihrer Vorstellung im Herbst, sich auch während ihrer Zeit in Graz weiterhin für den Frieden in ihrem Heimatland einzusetzen. „Ich habe die Hoffnung, dass sich die Situation ändert, aber meine Prognose ist nicht sehr optimistisch“, sagte Bacharevič damals zur Austria Presse Agentur (APA). Und er sollte leider recht behalten.

In Belarus regiert Alexander Lukaschenko ja weiterhin autoritär und repressiv, gegen seinen Führungsstil gibt es ständig (gebrochenen) Widerstand - siehe die Ryanair-Affäre, als Kampfjets eine Passagiermaschine über weißrussischem Gebiet zum Landen zwang, weil der Blogger und Regimekritiker Roman Protassewitsch an Bord war; ihn ließ der Präsident in Minsk verhaften.

Auch die beiden Grazer Stipendiaten aus Belarus waren monatelang protestierend auf der Straße gewesen, um für einen politischen Neubeginn zu kämpfen. Aufgrund ihres Engagements und ihrer kritischen Texte waren sie nicht allerdings mehr sicher und konnten schließlich durch die Initiative der Kulturvermittlung Steiermark nach Österreich kommen. Cimafiejeva (38) - Lyrikerin und Übersetzerin „und ein wenig Fotografin“, wie sie selbst der APA sagte – betonte beim Einzug in ihr Quartier im Cerrini-Schlössl, wie angenehm es sei, hier „zu schlafen, ohne dass die Polizei an die Türe klopft“.

Ihr Refugium auf dem Grazer Schloßberg können Alhierd Bacharevič und  Julia Cimafiejeva nun noch länger genießen. Das vorerst für sechs Monate anberaumte Stipendium wurde bis mindestens Ende Dezember des Jahres verlängert, wie uns Luise Grinschgl von der Kulturvermitlung Steiermark auf Anfrage sagte. Beide "Writers in Exile" weilen derzeit in Polen und sind am Montag (14. Juni) wieder retour in Graz.

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Lesetipp:
"Worte kommen immer zu spät" Ein Essay von Alhierd Bacharevič zur verzweifelten Lage in seiner Heimat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 29. Mai
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/belarus-schriftsteller-alhierd-bacharevi-zur-krise-17363330.html