Mit und im Forum Stadtpark sind in den 1960er-Jahren auch Sie als Literat groß geworden. Was hat der in der Vorwoche verstorbene Alfred Kollertisch für Sie bedeutet?
MICHAEL SCHARANG: Die von ihm gegründete Zeitschrift „manuskripte“ war für uns die einzige Möglichkeit, zu publizieren; das von ihm gegründete Forum Stadtpark in Graz die einzige Möglichkeit, unsere Texte vorzulesen. Er war ein Held und ein väterlicher Freund.

„Diese Geschichte begann in New York, fand ihre Fortsetzung in Wien und endete damit, dass die österreichische Regierung ins Ausland flüchtete.“ Mit diesem furiosen Satz beginnt ihr neuer Roman „Aufruhr“. Wie soll man ihn lesen? Als politisches Manifest oder als Schelmenroman?
„Aufruhr“ ist ein politischer Schelmenroman, in dem die Personen trickreich agieren. Die da unten sind zwar machtlos, aber klüger als die da oben, und so werden die da oben überlistet. Das freut einen. Deshalb ist dieser politische Schelmenroman unterhaltsam.

Der Roman spielt in der Jetztzeit. Der Psychiater Max Spatz gerät in Wien in einen Arbeiterkampf bzw. zettelt ihn sogar an. Es kommt zum Aufstand gegen die Machthaber. Der Klassenkampf bleibt Ihr Lebensthema.
Die zentrale Person des Romans, Anna Berg, Verkäuferin und Betriebsrätin, sagt: „Die meiste Zeit unseres Lebens verbringen wir in der Arbeit. Wenn wir unsere Lebensverhältnisse verbessern wollen, müssen wir die Arbeitsverhältnisse verbessern.“ Das wollen im Roman viele: Arbeiter, Angestellte, Ärzte, Bauern. Sie bilden die Aufständischen, haben aber kein revolutionäres Programm. So weit sind sie noch nicht.

Im Roman findet sich sehr oft das Wort „Aufklärung“. Sind Sie das – ein Aufklärer?
Das Licht der Aufklärung zu verbreiten ist schon deshalb problematisch, weil die Aufklärung - wie wir von den Philosophen Adorno und Horkheimer wissen - nicht nur helle, sondern auch dunkle, repressive Seiten hat. Die Rede ist von der bürgerlichen Aufklärung. Eine andere, eine nachbürgerliche, gar sozialistische Aufklärung gibt es noch nicht. Wenn ich dennoch das Licht der Aufklärung zu verbreiten suche, konzentriere ich mich auf deren lichte Momente.

Wie ergeht es Ihnen, der gerne als „Altlinker der ungefügigen Sorte“ bezeichnet wird, eigentlich mit dem Zustand der Sozialdemokratie in Österreich?
Der Neoliberalismus braucht keine Sozialdemokratie. Das Kapital herrscht allein. Die Sozialdemokratie schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und versteht die Welt nicht mehr. Der Welt ist das egal.

Apropos Welt. Ist „die Welt“ durch die Corona-Krise besser geworden oder nur anders?
In jeder Krise verschärft sich eine ohnehin vorhandene Entwicklung. Auch diese Krise wird nicht von den Vermögenden, sondern von den Lohnabhängigen bezahlt, jene werden noch schneller verarmen. Und wie in jeder Krise wird es auf der Kapitalseite zu starken Monopolbildungen kommen. Klein- und Mittelunternehmer sterben ebenso aus wie die Mittelschicht.

Ihr vorletztes Buch hieß „Komödie des Alterns“. Sie selbst sind 79 Jahre alt. Ist das Altern noch immer eine Komödie?
Ja, das Altern, sofern nicht belastet mit Bresthaftigkeit, ist eine Komödie. Die Arbeitskraft lässt nach, also muss man lustvolle Gegenstrategien entwickeln, zum Beispiel rauchen und Rotwein trinken. An trüben Tagen empfiehlt es sich, Knoblauch zu essen, das wirkt aber nur, wenn man den Knoblauch vorher pfeffert.

Am Ende des Romanes kehrt die Regierung, die ins Ausland geflohen ist, nicht mehr zurück nach Österreich. Ist das jetzt ein Erfolg für die Aufständischen, gar der Beginn einer menschenfreundlicheren Ära?
Dass die Regierung nicht mehr zurückkehrt, ist nicht ganz richtig. Sie kehrt nur zum vereinbarten Zeitpunkt nicht zurück. Irgendwann wird sie wiederkommen. Das ist für die Aufständischen weder gut noch schlecht. Die Regierung aber wird ein Problem haben. Denn in dem dreimonatigen Interregnum der Aufständischen hat sich das Land sehr zum Guten verändert.

Buchtipp: Michael Scharang. Aufruhr. Ein Roman.
Suhrkamp. 306 Seiten. 24,70 Euro.

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