Wenn unter dem Tannenbaum nicht stapelweise Bücher liegen, ist für Isländer nicht richtig Weihnachten. Die Tradition, zu Weihnachten vor allem Bücher zu verschenken, gibt es in Island schon seit 1945 und hat sogar einen Namen: Sie heißt Jolabokaflod - Weihnachtsbücherflut. Nach Angaben des Isländischen Verlegerverbandes verschenken fast sieben von zehn Isländern zu Weihnachten mindestens ein Buch.

Neuerscheinungen zu Sonderpreisen

Zwei Drittel der Bücher, die in Island verlegt werden, erscheinen im November und Dezember. In Buchläden und Supermärkten werden dann hunderte Neuerscheinungen zu Sonderpreisen angeboten. Für die Verlagsbranche in dem Inselstaat mit gerade einmal 360.000 Einwohnern ist die Bücherflut zu Weihnachten überlebenswichtig: 2018 wurden nach Angaben des isländischen Statistikamtes 40 Prozent der Bücher in der Vorweihnachtszeit verkauft.

Lesen ist die liebste Kunst

Am Heiligen Abend packen die Isländer traditionell ihre Büchergeschenke aus - und verbringen den Rest des Abends lesend. "Literatur ist in Island sehr wichtig", sagt die Künstlerin Sigrun Hrolfsdottir, die mit ihrer Familie in Seltjarnarnes bei Reykjavik lebt. Mit dieser Kunstform könne nun einmal jeder etwas anfangen, sagt die Mutter von zwei Kinder.

Ihr Tochter Duna und ihr Sohn Gudmundur haben sich zu Weihnachten - natürlich - Bücher gewünscht. Die Buchtipps haben sie aus dem Bokatidindi, einem Bücherkatalog, der an alle Haushalte verteilt wird. Auf 80 Seiten stehen alle Neuerscheinungen von Romanen über Kinderbücher bis zu Gedichtbänden - in diesem Jahr sind es 842 Titel.

Teil der Identität

Die Weihnachtsbücherflut geht auf das Ende des Zweiten Weltkriegs zurück. Island war damals sehr arm, Importwaren waren knapp und teuer. Papier war jedoch erschwinglich, sodass Bücher zum beliebten Geschenk wurden.

Die Bücherliebe der Isländer hat aber auch mit der Unabhängigkeit im Jahr 1944 zu tun, welche die jahrhundertelange Herrschaft Norwegens und Dänemarks beendete. Halldor Gudmundsson, der früher den größten isländischen Verlag Forlagid geleitet hat, erinnert an die "Bedeutung der Literatur im isländischen Unabhängigkeitskampf und bei der Suche nach einer isländischen Identität": "Bücher zu lesen, war Teil der isländischen Identität."

Eine Buchhandlung für 4300 Einwohner

Obwohl Island das am dünnsten besiedelte Land in Europa ist, liegt es nach Angaben des internationalen Verlegerverbandes IPA bei den Bucherscheinungen pro Kopf an zweiter Stelle hinter Großbritannien. In dem kleinen Land im Nordatlantik gibt es 83 Buchhandlungen - eine pro 4300 Einwohner. Mehr als 90 Prozent der Isländer lesen laut einer Studie von 2013 mindestens ein Buch im Jahr - mehr als die Hälfte liest sogar mehr als acht.

Rund einer von zehn Isländern schreibt sogar selbst. Besonders erfolgreich sind isländische Krimiautoren. Auch international machen Bestseller-Autoren wie Arnaldur Indridason ihren Kollegen aus Schweden, Norwegen und Dänemark mittlerweile Konkurrenz. Für Schriftsteller hat die Bücherflut auch Nachteile: "Leider gehen viele gute Bücher einfach in der Flut unter", sagt die Krimiautorin Lilja Sigurdardottir, deren Bücher auch auf Deutsch erschienen sind.

Spottpreise

Vor Weihnachten werden Bücher in Supermärkten zu Spottpreisen angeboten, die Büchertische stehen oft direkt neben Obst und Gemüse, Brot oder Tiefkühlprodukten. In der Buchhandlung liegt der normale Preis für ein Hardcover sonst bei satten 6990 Kronen (gut 51 Euro). "Man kann nicht das ganze Jahr über Bücher kaufen, sonst würde man Pleitegehen", sagt der 28-jährige Brynjolfur Thorsteinsson, der in einem der ältesten Buchläden in Reykjavik arbeitet.

Trotzdem wollen die Verlage auf keinen Fall auf die weihnachtliche Bücherflut verzichten: Pall Valsson, der den zweitgrößten Verlag Bjartur leitet, ist sich sicher. "Wenn die Weihnachtsbücherflut stirbt, stirbt auch das isländische Verlagswesen."