"Dirk Stermanns neuer Roman ist der Hammer." Das wäre kein schlechter Beginn einer Rezension. Korrekter wäre freilich: "Dirk Stermanns neuer Roman heißt 'Der Hammer'." Dabei nimmt der Titel nicht auf ein wuchtiges Werkzeug, sondern auf eine historische Persönlichkeit Bezug. Stermann hat nämlich einen Historienroman über den Wiener Orientalisten Joseph von Hammer-Purgstall (1774 -1856) geschrieben.

Stermann, der neben seinen Kabarett-Auftritten und seinen "Willkommen Österreich"-Moderationen mit den Erzählungen "Eier" (2010), "Zweier" (2013) und "Dreier" (2015) sowie den Romanen "Sechs Österreicher unter den ersten fünf" (2012), "Stoß im Himmel" (2013) und "Der Junge bekommt das Gute zuletzt" (2016) als Autor bereits eine beachtliche Vielseitigkeit an den Tag gelegt hat, erweitert mit dem Anfang kommender Woche erscheinenden Buch, aus dem er am nächsten Freitag im Rabenhof-Literatursalon lesen wird, seine Palette um ein unerwartetes Genre: die historische, halbfiktionale Biografie. Alles Erzählte habe eine gründlich recherchierte Grundlage, beteuert der Autor.

Tatsächlich hat sich Hammer-Purgstall als Gründungspräsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in die heimische Wissenschaftsgeschichte eingeschrieben und lebt in der überaus aktiven "Österreichischen Orient-Gesellschaft Hammer-Purgstall" (Motto: "In Österreich daheim - im Orient zuhause") bis heute weiter. Bei Dirk Stermann kommt er freilich nicht besonders gut weg. Ausgestattet mit großer Sprachbegabung, aber auch mit überbordendem Selbstbewusstsein hat der junge Grazer bald bloß zwei Ziele: der Beste zu werden und in wichtiger offizieller Mission in den Orient geschickt zu werden. Ersteres erreicht er durch unablässiges Studium bald, an Zweiterem scheitert er aufgrund seiner wenig diplomatischen Art sein Leben lang.

Dirk Stermann
Dirk Stermann © (c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)

Stermann hat sich nicht das Ziel gesetzt, uns seinen Helden sympathisch scheinen zu lassen, wenngleich er die Tragik seines Lebens nicht beschönigt. Er konzentriert sich auf ein besonders plastisches Zeitpanorama, auf die zwischen Ablehnung und Anziehung oszillierende Beziehung des Okzidents zum Orient und auf die unglaublichen historischen Ereignisse, die Joseph Hammer erlebt, und die prominenten historischen Persönlichkeiten, die er getroffen hat. Diese Vorhaben gelingen dem Autor souverän. Beinahe möchte man sogar sagen: Er schießt ein wenig übers Ziel hinaus.

Alleine für das Geruchsbild Wiens zur damaligen Zeit verwendet Stermann viele Seiten und schwelgt zur anschaulichen Beschreibung von Gestank und Fäulnis lustvoll in Begriffen wie miasmatische Infektion oder Schleimschlag. Schon Daniel Kehlmanns "Tyll" brachte den todbringenden Morast des Dreißigjährigen Kriegs drastisch an den Leser. "Der Hammer" wühlt geradezu in Kot und Dreck - nicht absichtslos allerdings, ist doch der Kontrast zum penibel auf Reinlichkeit bedachten Morgenland eines der durchgehenden Motive des Buches.

Stermann schichtet Detail auf Detail und lässt nichts aus. Angesichts dieses reichen Lebens liest sich das mitunter etwas ausufernd. Hammer erlebt die französische Revolution und die Napoleonischen Kriege, den Wiener Kongress und die Revolution von 1848. Er trifft auf Kaiser und Könige, unterhält sich mit Napoleon und Metternich, sieht Haydn, brüllt einen bereits nahezu tauben Beethoven an, korrespondiert mit Goethe und konversiert mit Balzac.

Er wird auch dem Leser kein Freund

Mitunter sehnt man sich nach einem klaren, ordnenden Zugriff auf den Stoff. Stermann entwickelt Hammers Lebensgeschichte buchstäblich von der Wiege bis zur Bahre, verfolgt den vielversprechend beginnenden Weg des "Sprachknaben", des jungen Dolmetschers, und sein baldiges Verstricken in diplomatische Intrigen und höfische Hemmnisse. Immer gibt es für die Verantwortlichen einen Grund, einen erhofften Posten einen anderen, aus Hammers Sicht radikal unbegabten Konkurrenten zu überantworten. Und immer gibt es dann ein Stück arabischer Dichtkunst, persischer Geschichte oder osmanischer Diplomatenpost, auf das Hammer stattdessen seine Arbeitswut fokussiert. So wird Hammers Lebensgeschichte in einer endlosen Aneinanderreihung von Episoden zum Pendant jener "Geschichten aus 1001 Nacht", die der Übersetzer endlich auftreiben kann und die nach viel Übersetzungsarbeit doch wieder verloren gehen.

Am Ende ist Joseph Hammer auch dem Leser kein Freund geworden. Aber er ist uns sehr nahe gekommen. So nahe, dass man auch über seinen Mundgeruch in allen üblen Einzelheiten Bescheid weiß. Doch weil man neidlos sein Talent und sein ewiges Streben anerkennen muss, kann man sich auch getrost einen Spruch für jenes "Lobbuch" ausdenken, in das Hammer Zeit seines Lebens beflissen jede ihm zuteilgewordene Anerkennung eintrug. Vielleicht könnte man dort Karl Marx zitieren: "Kunst ist nicht ein Spiegel, den man der Wirklichkeit vorhält, sondern ein Hammer, mit dem man sie gestaltet." Dirk Stermann jedenfalls hat uns gezeigt, wo der Hammer hängt. Und wer sehen will, wo der Hammer liegt, begebe sich auf den Friedhof von Klosterneuburg-Weidling. Das prachtvolle Grab, das dort mit persischen und arabischen Schriftzeichen bedeckt ist, gilt allerdings Hammer-Purgstalls Gattin Caroline. Er selbst liegt daneben. Auf seinem zylindrischen Grabstein lässt sich, mit etwas gutem Willen, ein angedeuteter Turban erkennen.