Erst knapp über zehn Jahre gibt es ein Wort dafür, wenn Männer glauben, Frauen die Welt erklären zu müssen: Mansplaining. Ein klassisches Beispiel dafür, wenn die Theorie der Praxis hinterherhinkt – in dem Fall wohl seit Anbeginn der Menschheit. 1799, Bacharach am Rhein: ein junger Mann im schwarzen Rock. Ansehnlich. Ein Dichter. Zu Besuch im feinen Haus. Noch bevor die junge Magd Lore Lay ihren Namen aussprechen kann, hat er sie längst benannt: Feinsliebchen.

Fortan wird sie seine Projektionsfläche sein, er wird sich mit seiner Interpretation der Welt an ihr hochziehen, sich selbst größer machen – und er wird an ihr scheitern: „Meine Widerrede lässt ihn zornig schnauben. Ich grüne nicht, ich keime nicht wie eine Zwiebel durch bloße hohe Plauderei.“ Das wird ihn wütend machen: „Eins noch: Du wirst mir danken, Lore. Dafür, dass ich dich erhebe. Nur das besungene Weib wird unsterblich.“


Lore Lay ist eine von zehn Protagonistinnen, denen Autor Feridun Zaimoglu in „Die Geschichte der Frau“ eine Stimme gibt: Er schafft kammerspielartige Szenen, in der die Frauen als Icherzählerinnen in der Sprache ihrer Zeit erzählen. Frauen am Abgrund, wie die Walküre Brunhild, die am Königshof von Burgund gegen das übermächtige Patriarchat kämpft: „Du bist geschrumpft, weil ich dich besiegte“, schleudert ihr da König Gunter vor die Füße. Sie wird sich rächen, diese Rauschgewaltige.

Oder Antigone, die sich, um ihren Bruder Polyneikes zu beerdigen, mit König Kreon anlegt und ihm mit Gleichmut und ganz ohne Waffen seine Stärke nimmt. Doch der Preis dafür, er ist hoch: Er lässt sie lebendig einmauern. Ob Magd, Walküre, Trümmerfrau oder Gastarbeiterin: Feridun Zaimoglu schält das Tiefgründige aus dem Abgründigen heraus. Darin liegt nicht selten viel Wut, aber auch ganz viel weibliche Stärke.

"Die Geschichte der Frau" von Feridun Zaimoglu, Kiepenheuer & Witsch. 400 S, 24.70 Euro
"Die Geschichte der Frau" von Feridun Zaimoglu, Kiepenheuer & Witsch. 400 S, 24.70 Euro © Kiepenheuer & Witsch