Nach dem obligaten Foto ins Publikum eröffnete Robert Menasse bei den Literaturtagen in Krems das Gespräch zum mehrdeutigen Thema "Wie wird die Welt gebildet?" mit der Aufforderung an Precht, ad hoc etwas über Giraffen zu äußern. Kein Problem für den Angesprochenen, der in einem spontanen essayistischen Exkurs luzide über diese "eindrucksvolle Fehlkonstruktion" und den "albernen Luxus" der Natur extemporierte und damit gleich den Bogen schaffte zu einem zentralen Anliegen: "Wir müssen aus dem reinen Kalkulationsdenken der Nützlichkeit rauskommen."

Von der Einführung des Münzgeldes, das erst zur "Anerkennung einer abstrakten Ebene über den Dingen" geführt habe - wesentlich für Mathematik, Philosophie und Rechtsprechung - über den mittelalterlichen Universalienstreit, den katalanischen Philosophen Ramon Llull bis zu Fichte und Hegel - dessen Bedeutung Precht zum Missfallen Menasses relativiert: "weltberühmt in Deutschland" - führte der eloquente Diskurs schließlich in die Gegenwart. Passend dazu Prechts Lieblingssatz von Robert Musil: "Wir irren vorwärts."

Der deutsche Starphilosoph ist überzeugt: "Wir erleben heute die größte Umbruchphase seit 200 Jahren, wir kommen in die zweite industrielle Revolution, wir werden wieder einen riesigen Machtwechsel haben." Und es werde sich unter anderem die Frage stellen, ob man Grundwerte auch weiterhin verteidigt, wenn sie nicht mehr mehrheitsfähig sind. Vor die Wahl gestellt, lebenslang gratis zu tanken oder das Wahlrecht wahrnehmen zu können, würde sich eine Mehrheit für Ersteres entscheiden, meint Precht und fordert angesichts eines radikalisierten Wettbewerbs und unabsehbarer technisch-ökonomischer Entwicklungen ("mit künstlicher Intelligenz versehene Maschinen werden Sklaverei ersetzen") eine "neue, heroische Philosophie".

Diese werde aber an den Universitäten nicht gelehrt, vielmehr betreibe man dort "Altbausanierung im Bereich des Geistes". Das gelte für das gesamte Bildungssystem, das noch im Geiste des Militärs strukturiert sei, statt auf die Individualität der Kinder Rücksicht zu nehmen. "Es ist nicht Sinn der Schule, einen Arbeitsmarkt zu bedienen", so Precht, der seine Kritik schon 2013 in seinem Buch "Anna, die Schule und der liebe Gott. Der Verrat des Bildungssystems an unseren Kindern" formuliert hat.

"Zu viel Weihrauch schwärzt den Heiligen", reagierte der populäre Denker auf die komplimentierenden Schlussworte von Menasse und schlug vor, mit einem Glas Wein anzustoßen: "Die Welt wird leichter, wenn sie sich dreht."