Kaum noch zählbar sind die  meist kläglich endenden Versuche, bedeutsame Romane bühnentauglich zu machen. Warum sollte aber nicht auch der umgekehrte Weg versucht werden? Klingt abstrus, wurde aber mit einigen wunderbaren Werken in die Tat umgesetzt. Den Anstoß dazu gab die legendäre englische Hogarth-Press. Sie lud anlässlich des 400. Todestages von William Shakespeare renommierte Autorinnen und Autoren ein, eines seiner Stücke in einer zeitgemäßen Romanversion aufzubereiten. Mit beeindruckenden Resultaten. Margaret Atwood fegte mit einer epischen Neuinterpretation von „Der Sturm“ los, Edward St. Aubyn, Schreckgespenst des britischen Hochadels, nahm sich „König Lear“ zur Brust, um erneut zynisch mit der highen Society abzurechnen.
Nun ist Jo Nesbø an der Reihe. Der norwegische, sprachlich virtuose Autor hat maßgeblichen Anteil daran, dass der Kriminalliteratur diese Benennung voll und ganz zusteht. Er entschied sich, wenig verwunderlich, für Shakespeares skrupellosesten und machtgierigsten Protagonisten: Macbeth.

Sündenkaff

Nesbøs Roman gleicht einer Reise in die Stadt der Finsternis. Sodom und Gomorrha lassen grüßen. Mit zeitlichen und örtlichen Angaben geizt der Autor, aber seine Story ist angesiedelt in der Mitte der 1960er-Jahre in einer namenlosen US-Stadt, die im Korruptions- und Drogensumpf versinkt. Anfangs glaubt dieser Macbeth als Leiter eines SWAT-Teams noch daran, das Sündenkaff säubern zu können. Das ändert sich schlagartig. Befeuert durch seine Drogensucht und die Intrigenkünste seiner Lady, die das größte Kasino der Stadt leitet, lässt er seinem Größenwahn freien Lauf. Nesbø setzt Originalfiguren ein, aber, logisch, in neuen Rollen. So verwandelt sich König Duncan in den obersten Polizeichef, Hecate ist der Drogenboss.

Bravourstück

Ein diabolisches Gemisch ist die Konsequenz. Aber Nesbø sorgt häufig für raffinierte Wendungen, er orientiert sich zuweilen auch an der Sprache Shakespeares und bestätigt eine Regel, die für viele Tragodien von William dem Großen gelten: Und am Ende sind alle tot. Oder diesfalls: fast alle. Es wäre ja nicht Nesbø, würde er bei diesem imposanten Gipfeltreffen der Düsterlinge nicht doch noch eine Lunte anzünden. Ein Bravourstück.

Jo Nesbo: "Macbeth". Penguin-Verlag, 624 Seiten, 24,70 Euro (ab 27. 8.)