Ein cooles Buch. Angesiedelt in einer heißen, lauten Bar in einer Großstadt im Kongo. Es herrscht Goldgräberstimmung, aber afrikanisch. Ein nepotistischer General schließt und öffnet die Minen und vergibt Schürfrechte freihändig. Die Leute, die seine gewalttätigen Schergen fürchten, machen sich über seinen kleinen Schniedel lustig.Woher sie davon wissen? Ein Mann namens Requiem, ein dubioser Geschäftemacher und Zuhälter, hat Nacktfotos ins Netz gestellt.

Der Stein ist die Religion des Landes. Er wird angebetet und besungen. Fast überall wird nach ihm geschürft, selbst aus Kellern in der Stadt schleppen die Leute Säcke mit Abraum. Am Abend treffen sich allesamt im Nachtklub. Tram 83 heißt der Ort, ein Tummelplatz unterschiedlicher Menschen, Sprachen, Dialekte und Rhythmen. Eingepasst in eine recht strenge Choreografie. Minenarbeiter und ehemalige Kindersoldaten prahlen mit Unglücksfällen und blutigen Taten. Ausländische „Touristen“ mit Gewinnabsicht und lokale Lords pflegen ihre Geschäfte. Kellnerinnen fordern lautstark ihr Trinkgeld. „Single-Mamis“ bieten auf den gemischten Toiletten ihre Dienste an. Auch eine Bühne gibt es im Lokal, mit rasch wechselndem Musikprogramm.

Schwingungen

Fiston Mwanza Mujila, 1981 in der Demokratischen Republik Kongo geboren, lebt und arbeitet in Graz. International ist der Autor mittlerweile auch als Romanschreiber anerkannt. Die französische Originalausgabe von „Tram 83“ aus dem Jahr 2014 sowie die englische Übersetzung wurden mit fulminanten Kritiken und Preisen bedacht. Auch der deutschen Ausgabe merkt man an, was dieser Autor draufhat. „Tram 83“ ist ein grandioser Klangkörper, der gleichzeitig auf großen Bass-Fellen und feinsten Membranen spielt. An manchen Stellen versetzt sich das Buch in eine Eigenschwingung, in die man einfach hineinmuss.

Bruchstellen

Jazz als ein wirklich gelebtes Gemisch ist die Musik, der sich im Tram 83 alle Bewegungen fügen. Das wiederholt sich in der sprachlichen Struktur des Textes: Nicht eine vorschnelle Multikulti-Synthese wird hier gesucht, sondern kulturelle und sprachliche Brüche und Unterschiede auch als solche markiert. Selbst den Widerspruch aber kann man in „Tram 83“ manchmal tanzen. An eine Figur zoomt sich der Roman besonders nahe heran, ohne aus ihm einen strahlenden Helden zu machen. Lucien ist ein angehender Schriftsteller. Sein Schicksal ist zwischen Requiem, seinem Schutzherrn, und einem ausländischen Verleger eingepasst, der ihm eine Veröffentlichung verspricht.

Beständig kämpft der junge, freundliche Mann um Autonomie und Eigenart seines Schreibens. Lobgedichte auf ein authentisches Afrika sollen es ebensowenig sein, wie allzu viele Konzessionen an den europäischen Markt. In einem Notizbuch hält er fest, was ihn umgibt. Wohl auch mit solchen Aufzeichnungen hat Fiston Mwanza Mujila sein hoch präzises, unterhaltsames und gescheites Buch gemacht. Erfrischende Nachrichten aus einem unmöglichen Afrika, mitten in Europa.

Klaus Kastberger(53) ist Universitätsprofessor für Neuere Deutsche Literatur. Seit dem Vorjahr leitet er das Grazer Literaturhaus und das Franz-Nabl- Institut.