Wolfgang Huber-Lang, Austria Presse Agentur
Ich halte das Wettlesen 2.0 bisher für recht gelungen. Der neue Juror Philipp Tingler hat bewiesen, dass Dreinreden und Abkanzeln auch im virtuellen Raum geht – gut für den Unterhaltungswert, schlecht für die Netiquette. Die bisherige Überraschung ist das witzige Rollenspiel zwischen Moderator Christian Ankowitsch und Justitiar Andreas Sourij, während Julya Rabinowich und Heinz Sichrovsky der ihnen zugedachten Statler- &-Waldorf-Rolle als Logen-Kommentatoren aus dem Garten noch nicht gerecht und zu wenig einbezogen werden. Da geht noch was! Ansonsten sollte es kein Zukunftsmodell sein: Das analoge Streiten, Plaudern und Feiern bleibt unerreicht.
Henrike Blum, Presse Literaturverlag Droschl
Texte und Textkritik werden auch im heurigen Wettbewerb lobenswert sichtbar gemacht, doch ich vermisse meine Gespräche in Klagenfurt. Natürlich kann ich jederzeit telefonieren und chatten. Die Begegnungen bleiben dennoch auf Distanz. Die Live-Übertragung wie wir sie jetzt alle erleben, kennen wiederum viele Menschen seit Jahren, gehören sie doch ebenfalls zu diesen Tagen. Nach den Lesungen und mitunter sehenswerten Jurydiskussionen stelle ich aber fest, dass erst das Zusammenspiel von Lesung und Literaturkritik, dem Publikum vor Ort und an den Bildschirmen diese Tage zu so besonderen werden lassen.
Wolfgang Tischer, literaturcafe.de
Ich war skeptisch. Der Bachmannpreis im Homeoffice-Look? Die Verlagerung ins Digitale eine schleichende Verdrängung aus dem TV? Jedoch: Es funktioniert! Für den ORF wird der Bewerb in diesem Jahr wohl der aufwendigste jemals gewesen sein – technisch wie finanziell. Die Jurydiskussion bringt neue, interessante Aspekte. Im TV hat das Format weiterhin seinen Reiz, und es ist gut, dass 3sat weiterhin ungekürzt überträgt. Vor Ort jedoch ist es traurig: kein direkter Austausch im Publikum und mit Juror*innen und Autor*innen. Letztere sind in diesem Jahr buchstäblich weit von Klagenfurt weg.
Johan de Blank, Festival Wortspiele
Als langjähriger Besucher des Bachmannpreises fremdelt man ein wenig vor dem Bildschirm. Der Austausch fehlt und auch die festen Treffpunkte im Programm fallen weg. Für die Lesenden wird es einsam, so ohne Publikum. Aber wir wollen nicht larmoyant sei. Es ist wie beim Fußball: Lieber eine Geisterlesung als gar keine! Die „Rede zur Literatur“ von Sharon Dodua Otoo war ein Plädoyer für den Dialog und die Vielfalt in der Rassismusdebatte. Das Programm zeigt wie immer ein breites Spektrum, die Jury ist immer noch kampfeslustig und die Techniker haben gute Arbeit geleistet. Hoffentlich sehen wir uns nächstes Jahr alle wieder in Klagenfurt. Analog!
Doris Moser, Germanistin
Klagenfurt gilt als Korrektiv, Auffangnetz, Parallelwelt des Buchmarkts. Klagenfurt gibt es heuer nicht. Dafür ist der Wettbewerb, was er sonst nicht ist: eine Casting-Show der Literatur, ein pures Fernsehereignis. Als solches funktioniert er sehr gut. Die Jury spielt brav mit, zeigt sich angriffig auch gegeneinander, das ist unterhaltsam, lehrreich, nervig.
Die Texte scheinen mir heuer politischer, kritischer. Gut so! Die Stars der Fernsehshow sind aber nicht die Texte. Es sind die Kritiker. Die Autor*innen? Die sitzen allein zu Haus – das heißt, profitieren werden diesmal wirklich nur die Preisträger.
Anton Thuswaldner, Kulturjournalist
Unpersönlich läuft die jüngste Ausgabe des Bachmann-Preises ab. Jeder Juror in seiner Isolationszelle, die Kandidaten in ihrem Bereich und dazwischen der Moderator Christian Ankowitsch, der nicht so genau weiß, wie er sich verhalten soll, wenn sich die Jury gegenseitig zu übertönen sucht. Es macht einen Unterschied, ob man sich mit einem Phantom auf dem Monitor auseinandersetzt oder mit einem Menschen, der einem gegenübersitzt. Das hat etwas vom Besuch im Gefängnis, wenn zwei Menschen durch eine Glasscheibe voneinander getrennt sind. Als Notlösung im Ausnahmefall in Ordnung, kein Modell für die Dauer.
Astrid Poppenhusen, Literaturagentin
Dass der Bachmannpreis in diesem Jahr online vergeben wird, ist gut gelöst. Man kann mühelos zuhören und es kommt eine Diskussion zustande, der man gut folgen kann. Natürlich haben die Juroren dabei weniger die Möglichkeit, mit kleinen Gesten zu kommunizieren, und vor allem ist es für die Autoren sicherlich weniger angenehm, dem Gespräch über ihren Text zuzuhören, ohne dass sie mit im Raum sitzen können und das Beisammensein zum Eindruck beiträgt. Auch uns allen fehlen die gemeinsamen Tage in Klagenfurt. Aber natürlich ist es – nicht zuletzt für die Autoren – schön, dass die Preise vergeben werden.