In Österreich dauert es bekanntlich manchmal ein bisserl länger. Bei Renate Bertlmann waren es mehr als fünf Jahrzehnte Künstlerinnendasein, in dem sie bislang 5000 Werke schuf. Nun, im Jahr ihres 80. Geburtstages, hat das Warten für sie – und das Publikum – ein Ende. Das Belvedere 21 beim Wiener Hauptbahnhof würdigt ihr Schaffen in der ersten großen Retrospektive und zeigt rund 200 Fotografien, Zeichnungen, Performance-Dokumente und Skulpturen ihres zornigen, dabei zärtlichen und stets herausfordernden Œuvres in einer stringent und dicht arrangierten Schau. Knapp die Hälfte der gezeigten Objekte in "Fragile Obsessionen" ist das erste Mal überhaupt zu sehen. Kritik an patriarchalen Strukturen, der Vereinnahmung von Frauenkörpern, dazu Phalli, Ironie, Kitsch und Pornografie – alles da.
2019 hatte die Vertreterin der feministischen Avantgarde verspätet ihr breitenwirksames Coming-out, als sie als erste Einzelkünstlerin den Österreich-Pavillon bei der Biennale in Venedig bespielte. Die aktuelle Schau sei im Belvedere-Jubiläumsjahr ihre "Verpflichtung" gewesen, erklärte Generaldirektorin Stella Rollig. Die Zeit ist überreif. Nicht nur für Renate Bertlmann. "Ich war immer da", konterte sie trocken auf eine Frage der Kleinen Zeitung, warum es so lange gedauert habe. Und wiederholte damit, was Maria Lassnig bei ihrer – ebenso späten – Retrospektive im 20er-Haus auf diese Frage antwortete. Ja, sie alle waren immer da. Manche sind es, Gott sei Dank, immer noch.
Schön langsam scheint es sich herumzusprechen, dass man den heimischen Kunststars – schon zu Lebzeiten – Einzelausstellungen widmen kann. Auch in Österreich.