Unter uns gesagt: Zu den spannendsten Angeboten des Kulturgeschehens gehören die Eröffnungszeremonien von Festivals ja eher nicht. Man freut sich entsprechend, wenn einmal etwas aus dem Ruder zu laufen scheint. Etwa, wenn bei den Auftaktfeierlichkeiten des steirischen herbst auf dem Grazer Mariahilferplatz zwei junge Klimaaktivistinnen überraschend das Rednerpult und dazu kurz die Themenhoheit auf dem Platz übernehmen. Bühnenpiraterie war das allerdings nicht, sondern eine akkordierte Intervention.

Kurz zuvor hatte Festivalintendantin Ekaterina Degot in ihrer Eröffnungsrede unterm Grazer Uhrturm "die dissidente Stimme der Kunst, die Stimme der Ungehorsamen, der Andersartigen" gepriesen und ein künstlerisches Handeln eingefordert, das sich nicht auf die Seite der Machthabenden schlägt, sondern jenseits von Kompromiss und Konformismus Widerständigkeit übt, ohne billige "progressive Klischees" zu bedienen.

So ein Aufruf funzt und funkt, wenn man ihm dann gleich selbst Folge leistet. Das obgenannte Intermezzo, dessen Aktivismus und Aktionismus man – zugegeben – auf der Skala zwischen "Beste herbst-Tradition" und "Billige Punktemacherei" je nach Gusto da oder dort verorten kann, war also zumindest konsequent – auch in der Herausforderung für die obligat zu Grußworten ausgerückte Politikerriege, die Irritation zu parieren. Oder gar etwas Sinnvolles, nicht Einstudiertes zur beherrschenden Krise der Stunde, der Zeit zu äußern.

Ist die kleine Provokation ein Zeichen dafür, dass die Intendantin, die mit diesem herbst ihre zweite Amtszeit angetreten hat, endgültig ihren Groove gefunden hat? Gut möglich. Im sechsten Jahr ihrer Intendanz und im 56. Jahr des steirischen herbst hat Degot jedenfalls ein Programm gestaltet, das einige Schwächen vorangegangener Ausgaben abstreifen konnte. Konzeptuell war bisher jedes ihrer Festivals gut gedacht, aber etliches wirkte in der Umsetzung konfus und kraftlos.

In dieser Ausgabe hat Degots Ausstellungsprogramm deutlich an Systematik und Stichhaltigkeit gewonnen; die Performanceschiene, lange eine Achillesferse des Programms, wirkt nicht länger wie der bildenden Kunst beliebig aufgepfropft und hat mehr Stringenz als bisher. Dazu fügen sich ein saftiges und schlüssiges Parallelprogramm und einige unternehmungslustige Vermittlungsprojekte.

Ob das Festival insgesamt gelingt, wird sich natürlich erst zeigen, es läuft ja noch bis 15. Oktober. Aber nach den dürren Konstrukten der ersten Jahre hat Degots herbst jetzt wieder mehr Ereignischarakter: Das hat was zu bedeuten, wenn sogar eine Eröffnung funzt und funkt.