Herr Vargas, Sie zählen seit Jahren zu den wichtigsten lyrischen Tenören der Opernwelt, gelten als Spezialist für Belcanto-Rollen von Donizetti und Rossini. In Graz singen Sie den Don José in „Carmen“. Eine Rolle, die einen schwereren Stimmtyp verlangt. Sind Sie nervös, wenn Sie eine neue Partie angehen?
RAMÓN VARGAS: Nein, ich bin nur vorsichtiger. Die Probenzeit ist ja knapp, aber das geht trotzdem, ich habe genug Erfahrung im Geschäft. Ich mag die Musik sehr, Georges Bizet ist ein sehr raffinierter Komponist und ich bin guter Dinge.
Warum haben Sie so lange damit gewartet, Don José zu singen?
Ich will ihn seit acht, zehn Jahren singen, in Toronto war es geplant, da musste ich absagen, weil ich krank geworden bin. Es ist eine komische Partie: Es ist nicht veristisch, aber vermutlich der Anfang des Verismus. Und ich bin kein dramatischer Tenor, ich komme vom Belcanto und von Verdi. Dort kommen die Emotionen von der Stimme, nicht vom Orchester wie bei Puccini. Ich habe lange gedacht, dass man für den Don José eine andere Stimme als meine benötigt, aber jetzt ist ein perfekter Moment, ihn zu singen.
Es gibt zahlreiche Sänger, die ihrer Stimme zu viel zugemutet haben und zu schnell zu schwere Partien gesungen haben. Und danach schwere Krisen hatten, bzw. sich überhaupt nie mehr davon erholt haben. Sie sind eine große Ausnahme, weil Sie vom leichteren Fach kamen und sich die schwereren Verdi-Partien nur ganz behutsam erobert haben.
Ich habe in all den Jahren im Beruf gelernt, die eigenen Grenzen zu respektieren. Vorher muss man die Grenze allerdings überhaupt einmal erkennen. Und das ist ein langer, schwerer Lernprozess. Es gibt Momente in der Karriere, wo man das Gefühl hat, man kann einfach alles singen. Aber das stimmt einfach nicht. Man muss sehr aufpassen.
Sie sehen den Don José auch nicht als heldischen Typen?
Er ist ein Mensch voller Probleme, er ist unsicher und er ist geplagt von kulturellen Unterschieden. Die Figur kommt aus Navarra, aus dem Norden Spaniens. Die Leute haben eine völlig andere Mentalität als die Andalusier, und „Carmen“ spielt ja in Sevilla.
"Carmen" in Graz
Startenor Ramón Vargas: "Man muss seine Grenzen kennen"
