Es gibt Text-zu-Bild-Generatoren, die in Sekundenschnelle Gemälde und Fotos jedes beliebigen Inhalts errechnen. Künstliche Intelligenzen erfassen den Klang von Stimmen so passgenau, dass kürzlich ein Duett der US-Musiker Drake und Weekend für Aufsehen sorgen konnte, das nie stattgefunden hat. DJ David Guetta ließ einen Eminem-Klon über seine Beats rappen und Textmaschinen wie ChatGPT stellen in Windeseile noch ein Muttertagsgedicht parat. Die KI mischt sich gerade massiv in Kreativprozesse ein. KI-Programme schöpfen dafür aus Milliarden von Bild- und Textdaten, sie analysieren Klänge und Muster, sie imitieren die Formeln und Formen, nach denen Kunst gebaut sind. Ob Popsong oder Gedicht, ob Gemälde oder Fotografie. Fast alles geht.

Es ist naturgemäß heikel, dass der Ausfluss dieses computergestützten Füllhorns auf menschlichem Output basiert, weil die KI sich logischerweise vorhandenes Material zunutze machen muss. Mit der Imitation von Stimmen wie der von Drake oder Noel Gallagher und der Verwendung von Bild- und Textdaten menschlicher Kunstschaffender betritt man einen rechtlichen Graubereich. Urheber- und Persönlichkeitsrechte sind gleichermaßen betroffen, und es wird neue Regeln benötigen. Justiz und Gesetzgebung haben in den nächsten Jahren gutzutun. Schon jetzt gibt es für Künstlerinnen und Künstlern die Möglichkeit, ihre Werke aus solchen Datenbanken entfernen zu lassen.

Die Auswirkungen im Bereich der Gebrauchsgrafik oder der Creative Industries werden bereits voller Angst diskutiert. Dabei stecken Programme wie ChatGPT, Midjourney und DALL·E2 noch in den Kinderschuhen. Es ist zu erwarten, dass diese von Jahr zu Jahr, ja von Monat zu Monat raffinierter arbeiten werden und ihre Erzeugnisse sich jenen menschlicher Schöpferinnen und Schöpfer bis zur Ununterscheidbarkeit angleichen könnten. Wenn solche KI-Programme nicht mehr hölzerne Zusammenfassungen schreiben, sondern Romane, wenn sie mehr leisten als Hobby-Malerei, formelhafte Hintergrundgrafik und Imitationen von Stimmen, was dann? Ist das dann Kunst?

Die Werke des türkisch-amerikanischen und sehr menschlichen KI-Künstlers Refik Anadol haben es längst in die Museen geschafft. Auch Anadol nutzt das, was die Maschine am besten kann, nämlich gigantische Mengen von Daten zu verarbeiten. Seine Werke übertragen Daten (etwa über das Wetter oder Fotos von New York) in phantasmagorische Bilder und immersive Installationen. Der Medienkünstler lässt es visuell krachen. Er selbst nannte eine seiner Arbeit "Halluzination der Maschine", und es scheint tatsächlich, dass die KI in Anadols Werken mit sich selbst spielen würde. So als würde sie einen Blick in ihre Träume, die von Millionen von Daten gespeist werden, erlauben. Exakt so, wie wir unsere tagsüber gesammelten Daten zu Träumen verarbeiten, verarbeitet die KI ihren unfassbar umfangreichen Input in abstrakte, bestaunenswerte Kreationen. Doch dies sind natürlich Vermenschlichungen. Das Programm träumt nicht, es rechnet. Zur Kunst, zum Traum erklärt es nur der Beobachter, der davon berührt ist: der Mensch.