Nein, es wird wohl kein Minderphänomen der Berliner Medienblase bleiben, wie eine deutsche Zeitung vorab mutmaßte. "Noch wach?", der soeben erschienene Roman von Benjamin von Stuckrad-Barre, vom Verlag Kiepenheuer & Witsch in erster Auflage stolze 150.000-mal gedruckt, gilt bereits als Schlüsselroman, der sich mit dem in Deutschland bis vor Kurzem noch als fast allmächtig geltenden Springer-Konzern anlegt. Jenem Medienunternehmen also, das nebst den Zeitungen "Bild" und "Welt" unter anderem Magazine, TV-Stationen, digitale Newsplattformen, Druckereien etc. betreibt und 2021 wegen Missbrauchsvorwürfen gegen den bemerkenswert zögerlich, aber letztlich doch geschassten "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt international unter Druck geriet.

Um das zutiefst sexistische Machtsystem in einem Medienmoloch geht es auch in Stuckrad-Barres Roman. Der sei, wie sein Autor beteuert, natürlich rein fiktiv. Was die Spekulationen um das Buch nur befeuert hat. Denn Stuckrad-Barre galt lange als Intimus von Springer-Chef Mathias Döpfner. Dieser geriet jüngst selbst in Bedrängnis, weil er in geleakten E-Mails gegen Ostdeutsche vom Leder zog und FDP-freundliche Berichterstattung forderte.

Machtmissbrauch, Boulevardschmutz, Moralverlust: Mit "Noch wach?" reklamiert sich der mittlerweile 48 Jahre alte Stuckrad-Barre, einst per radikalironischer Nabelschau bekannt geworden und dank Werken von "Soloalbum" bis "Panikherz" alsbald als Popautor gehypt, nach Drogenexzessen, psychischen Zusammenbrüchen und Comeback als Essayist und Moderator in die Springer-kritische Literatur in der Tradition von Heinrich Böll ("Die verlorene Ehre der Katharina Blum") und Günter Wallraff ("Ganz unten") hinein. Auch die zogen einst gegen den Konzern ins Feld, nannten allerdings ihren reaktionären Feind noch beim Namen.

Stuckrad-Barre erspart sich das in seinem "Vexierspiel", wie er es nennt. Aus juristischen Gründen. Dafür wird aus dem Buch ab Herbst ein Theaterstück am Hamburger Thalia-Theater. Große Bühne allerorten also.