Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erinnerte in seiner Videoansprache bei der Berlinale-Eröffnung am Donnerstagabend an die vierte Wand, die Film und Publikum voneinander trennt. Sie könne durchbrochen werden, so wie das Kino Grenzen überwindet. Etwa die Berliner Mauer in Wim Wenders' "Himmel über Berlin", just an dem Platz, wo heute die Berlinale stattfindet. Soll die Kultur in Zeiten wie diesen abseits der Politik stehen? Das fragte er die Gäste und lieferte gleich die Antwort: Auch Stille sei eine Entscheidung.
Von der Zeit nach einer Zeitenwende handelt der erste deutsche Bewerbsfilm von Emily Atef. In "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" hat die BRD gerade die DDR geschluckt. Für die 19-jährige Maria hält die Zukunft auf dem Bauernhof ihres Freundes keine großen Versprechen bereit. Erst die Amour fou zum 40-jährigen Nachbarn Henner bringt Energie in ihr Leben und in die Verfilmung des gleichnamigen Wenderomans von Daniela Krien. Atef inszeniert die verhängnisvolle Liebe inmitten des trügerischen Idylls ostdeutscher Weizenfelder als dunkel-erotische Leidenschaft. Leider bleibt sie dabei 129 Minuten im Zeitlupenmodus, mit mühsamen Szenen voll vielsagendem Schweigen.

Im sehenswerten Biopic "BlackBerry" wird dagegen viel geredet. Der kanadische Film zeichnet den Aufstieg und Fall des Technologie-Unternehmens hinter dem titelgebenden ersten Smartphone nach. Die Elektronik-Nerds Mike und Doug werden vom New-Economy-Markt verschlungen, die erfolglose Start-up-Utopie der frühen Internet-Zeit ist bald dahin, nachdem der knallharte Manager Jim das Ruder übernimmt. Matt Johnson erzählt von den Konflikten seiner männlichen Protagonisten in gutem Tempo. Abstrakter geht es im dystopischen australischen Film "Das Überleben der Freundlichkeit" von Rolf de Heer zu. Er untersucht, ob Menschlichkeit und Mitgefühl noch existieren. Eine Frau namens BlackWoman kann sich aus einem Käfig befreien und wandert durch Wüsten und Wälder in eine Stadt. Komplett ohne Dialoge gedreht, ist der Film ein faszinierendes Erlebnis.
Bevor Selenskyj gestern in Sean Penns Doku "Superpower" zu sehen war, waren einige Festivalkinos bestreikt worden. Thema: bessere Arbeitsverträge. Die Berlinale ist ein politisches Festival – auch hinter den Kulissen.