Als mich die Frage ereilte, worin Österreich gut sei, versuchte ich ohne Sarkasmus eine Antwort zu finden. Dabei stieß ich auf eine Erinnerung, die mich ins Jahr 2019 führte. Damals lebte ich kurz in der Schweiz und teilte ein Haus mit einem ukrainischen Schriftstellerpaar. Eines Abends trafen wir einander bei einem Dinner in unseren puristisch, gediegen eingerichteten Apartments und überwanden die Scheu, um in Erfahrung zu bringen, woran wir denn schrieben im sehr teuren Winterthur.

Wir unterhielten uns auf Englisch, redeten über das Vermächtnis unserer Sprachen und die Kosten für den Supermarkt. Ich sagte damals, dass es egal sei, in welcher Sprache man schreibe, Hauptsache, man hätte etwas zu sagen. Damit meinte ich, dass man etwas mithilfe der Sprache zu zeigen haben solle, nicht bloß etwas zu sagen, was der Moral aus einer Geschichte entspräche. In diesem Fall könne man nämlich gleich die Moral „aussagen“ und alles davor streichen. Diesen Rat an mich selber erteilte ich in Winterthur auch dem Schriftstellerpaar aus der Ukraine. Es wollte mir nicht folgen und meinte, dass die deutsche Sprache eines Musil oder eines Kafka oder eines Goethe doch ein sehr deutsches Sprachvermögen sei, das ich in keiner anderen Sprache vorfände, worin Schätze des verbalen Ausdrucks dieser Dichtkunst nicht zu finden, da nur auf Deutsch so möglich.

Mir stellten sich die Nackenhaare auf, und ich versuchte den Wirbel in mir zu entwirren, während ich zuhörte: Das müsse für mich doch extrem wichtig sein, prägend für das Denken, Ausdenken, die Fantasie und für das Sprachgefühl, also die Melodie des Deutschen für mein Schreiben. Wenn sie wüssten, wie uneindeutig mein Deutsch ist und wie ambivalent mein Gefühl dazu. Das kärntnerische Deutsch, von den slowenischen Kärntnern gesprochen, beispielsweise, ist das melodischste für mich.

Die Kollegin glaubte mir nicht, dass meine Sprache mir im Prinzip egal sei, viel eher gehe es mir um Perspektive, und meine Beziehung zu allem, also auch zu ihr. Die Sprache sei doch auch tief mit einem „Selbst“ verbunden, mit der Identität, widersprach sie. Du schreibst in deutscher Sprache, also gehörst du dazu, zu diesem Sprachraum. Da sträubte sich schon wieder mein Nackenhaar. Worauf ich baue und was ich an Österreich schätze, liegt in der Tatsache, dass Deutsch nicht die einzige Landessprache ist. Der zu findende Ausdruck für die Literaturen, die in diesem Land entstehen, ist möglich, weil die Bevölkerung vielschichtig ist, was nationalistische Identitätszwängler den Wind aus den Segeln zu nehmen hat.

Die Literaturen Österreichs entstehen, weil sie nach Selbstbehauptung ringen und ein gut angelegtes Finanzierungsmodell vorfinden, um Selbstreflexion walten zu lassen und Entdeckungen zu machen. Auch wenn dieses Modell noch lange nicht ausreichend gut ausgebaut ist, sind die Lebensbedingungen für die Schreibenden hier trotzdem erleichtert, weil man in jeder Sprache denken und schreiben kann, keine ist verboten. Das war nicht immer so. Der Kulturauftrag der Nation verlangt, diesen Wert zu wahren, zugunsten seiner Steuerzahler:innen. Gegen die Korrumpierbarkeit und Marginalisierung von Literatur und Kunst kann man aufstehen, ohne eingesperrt zu werden.

Manchmal wünsche ich mir Nebelschwund gegen den Leserschwund und Blackout gegen Netflix, damit nichts mehr zwischen Sonne und Literatur steht. Es gibt zwar Berufsvertretungen der Schriftsteller:innen, die Anfeindungen konservativen Leistungsdenkens gegen das Entstehen von Literatur bekämpfen; ohne Leser:innen wird’s bitter, man müsste diese auch fördern. Ich fragte, wie das in der Ukraine sei. Förderungen wären undenkbar, man sei auf die zahlreichen Auslandsstipendien und Residencies angewiesen, die einem das Schreiben erlauben, sagte das Paar. In seinen Augen lebte ich in einem österreichischen Paradies, das mir den Luxus erlaubte, mit meiner Sprachidentität Stipendien zu lukrieren und so salopp damit umzugehen, dass Deutsch für mein Schreiben nicht maßgeblich sei und ich nichts auf Deutsch beizutragen hätte.

Das stimme so nicht, sagte ich und wehrte mich gegen den Vorwurf der Beliebigkeit, einem gewissen österreichischen Wischiwaschi zu unterliegen, weil ich zwar auf Deutsch schriebe, aber mir eine Ambivalenz leiste, mich nicht festzulegen, warum ich mich gar nicht sprachidentisch fühle und halt nur zufällig auf Deutsch schriebe. Für die beiden Ukrainer war das Ukrainische das Um und Auf, und ich fragte mich, was das mit meiner Literatur machte, wäre ich ukrainisch- oder russischsprachig. Wenn es einen Reichtum gibt, der sich als österreichisch erschließt, dann in der österreichischen Literatur, die ihre Geschichte in sich aufgesaugt und daher Phänomene ausgebildet hat, die mich entzücken.

Das fängt mit der Medea Grillparzers, einem Beamten und Schriftsteller sowie Aneigner von griechischer antiker Mythologie, an. Der alte weiße Mann schrieb ein starkes Stück über eine Frau mit Empathie für das Fremde. Der Blick durch die Brille der Wokeness auf der Nase löst bei mir neue Freude für die Ambivalenz dieses Grillparzers aus und einen Ansatz zum dialektischen Denken. Man muss in Österreich immer in allem davon ausgehen, dass es Auschwitz gegeben hat. Das verdrängerische Österreich ist erlebt, das faschistische Erbe belebbar.

Die dauernde Diskriminierung der Slowenen und Sloweninnen, die Geringschätzung ihrer Sprache, sitzt mir in den Knochen, mit wie viel Häme wurde Xenophobie, Hetze und Hass geschürt. Die Sprache ist fast verloren, und man muss sie mühsam nachlernen. Gut ist, dass Goethe ein Deutscher ist, so habe ich etwas Deutsches zu lesen, und wie schlimm ist es, dass Goethe die Kunst des deutschen Dichters Heinrich von Kleist nicht erkannt hat.

Ich war zu beschränkt, um in der Schweiz das ukrainische Dichterpaar und seine Dringlichkeit, auf ihr Ukrainisch als literarisches Medium pochend, zu verstehen. Mir graut davor, dass Sprache und Nation identifikatorisch zusammengebracht werden. Die Literatur von Florjan Lipu(s) ist österreichische Literatur auf Slowenisch, und ich zehre von ihr dank der Übersetzung ins Deutsche. Es beruhigt mich, dass österreichische Literatur eine Kraft in sich trägt, die mich beflügelt und die über die Grenzen gepriesen und gelesen wird. Sie erweitert das Erleben meiner Wirklichkeit. Ich finde es ausgezeichnet, dass die Entfaltung des Kulturauftrages Österreichs unter demokratischen Bedingungen in seiner Verfassung angelegt ist.

Würde der Weltenlauf unsere geopolitisch günstige Lage, Insel der Seeligen, hinwegfegen, in welcher Sprache wäre dann zu schreiben erlaubt? Wer erzeugt literarische Sprache und sichert ihr Überleben? Heute verbietet die Ukraine Russisch, und Russland das Ukrainische. Die österreichische Literatur ist mehr als einsprachig, sagte ich 2019. Auch meine Auskunft, dass es egal sei, in welcher Sprache man schreibe, überzeugte damals nicht.

Dass ich für diese Erinnerung ein Blatt Papier benütze, erscheint selbstverständlich. Die multiple „Ichigkeit“ meiner Zufriedenheit, österreichische Literatur auf Papier gedruckt zu sehen, könnte schon ein Luxus sein. Es braucht mehr Papier für Literatur in den Zeitschriften und Zeitungen dieses Landes, die zur Aufklärung und Bildung beitragen, die politischen Debatten führen und die Res Publica verbreiten.

Eine Kulturnation hat diesem Anspruch zu folgen, will sie nicht am Profitdenken und populistischem Aufmerksamkeitsfaschismus zugrunde gehen. Es besteht Entfaltungsdrang! Das lässt hoffen. Denn das Bemühen um Niveau in unseren geistigen und künstlerischen Disziplinen ist eine Art Grundlagenforschung, die kürzlich auf dem Felde der Physik den Nobelpreis eingebracht hat. Ja, es kann Kärntner Schnitzer geben, aber es gibt auch die Traumnovelle von Schnitzler, also: Vorwärts!