Die Erregungsmaschine ist angeschmissen. "Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux hat antisemitische Ressentiments", kann man in der deutschen Presse lesen. Das ist Unsinn, weil eine unlautere Verkürzung, um die Aufmerksamkeitsökonomie zu bedienen, die bekanntlich in Klicks und Tweets kalkuliert. Ernaux ist eine Kämpferin gegen soziale, gesellschaftliche und politische Unterdrückung. Sie spricht sich regelmäßig gegen Diskriminierung, Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus aus. Aber im deutlichen Brummen der Erregungsmaschine ist jetzt die Frage zu vernehmen, ob Ernaux den Literaturnobelpreis eigentlich verdient hat. Es geht also um das altbekannte Dilemma: Darf man das? Darf eine Schriftstellerin für ein Werk ausgezeichnet und gewürdigt werden, obwohl sie mit ihren politischen Ansichten auf der falschen Seite der Geschichte steht – oder auf der, die man aus guten Gründen für die falsche halten darf?