Bei über 60 Konzerten auf zwölf Bühnen ist es nicht so einfach, nichts zu versäumen. Ein schlauer kleiner Fahrplan durch den Konzertmarathon schafft da Abhilfe. Einige Überschneidungen ließen sich dennoch nicht vermeiden. Ein Abstecher zu Pussy Riot ins Kunsthaus Nexus im Tausch gegen das Hochamt von Isaiah Collier auf der Hauptbühne im Congress? Es geht beides, wie sich herausstellen sollte, da der junge Saxofonist aus Chicago ohnehin nicht mehr aufhören wollte. Oder konnte, denn seine Message namens Cosmic Transition, für die er sich mit missionarischem Einsatz die Seele aus dem Leib spielt, braucht eben ihre Zeit. In einem verausgabenden, etwas überhitzten und spirituell beladenen Sturmlauf schließt er in geradliniger Exegese amerikanischer Prägung an das Spätwerk John Coltranes an und erntet Standing Ovations weit nach Mitternacht.

Da war dann auch die Betroffenheit fast verflogen, die zuvor Pussy Riot angerichtet hatten. Mit ihrer Performance sorgten die vier Aktionistinnen rund um Riots-Urfrau Masha Alyokhina – die freilich mit ihren Fußfesseln angetreten war – für betretene Gesichter beim überwiegend jungen Publikum im randvollen Nexus. Man hatte auch nicht so ein beeindruckendes multimediales Programm unter dem Titel "Riot Days" erwartet, kurzweilig und von Hand autorisiert. Eine außerordentliche Geste des Veranstalters an die Ukraine.

Auch vier Big Bands im Portfolio gab es in der langen Geschichte des international renommierten Festivals noch nie. Das habe sich aber eher so gefügt, ließ Intendant Mario Steidl wissen, der sich zusammen mit seinem Team rundum glücklich über den besten Besuch der Festivalneuzeit zeigte: "Alle sind happy!" Die Großformationen drückten dem durchwegs hochklassigen Programm auf der Hauptbühne im Congress zweifellos den Stempel auf. Hatte das 18-köpfige, breit angelegte Christoph Cech Jazz Project aus Österreich dabei noch ein "Wechselbad der Gefühle" mit ungewöhnlicher Instrumentierung und Voicings eingelassen, lieferte Gard Nilssen’s Supersonic Orchestra mit drei Schlagzeugern und ebenso vielen Bassisten einen energischen Auftakt zu einem kontrastreichen Schlusstag. Ohne Harmonieinstrument kurbelten die Norweger zwar in weniger ausgefeilten, aber durchschlagskräftigen Arrangements und vielen freitonalen Ausbrüchen seiner beachtlichen Solistengilde.

Detaillierter und nahe am thematischen Material seines Stargastes Jason Moran orientierte sich dagegen das Trondheim Jazzorchestra mit seinem leidenschaftlichen Arrangeur, Bassisten Ole Vågan. An Spannung unerreicht blieb das Lisbon Underground Music Ensemble. Leider wurde das um den Pianisten und Komponisten Marco Barroso versammelte Orchester weit unter seinem Wert geschlagen, zumal der verspätete Beginn und die fortgeschrittene Zeit schon längst für Abwanderungen gesorgt hatten. Ein einzigartiges, kaleidophonisches Orchesterkonzept mit vielen Facetten und Brüchen in präziser Wahrnehmungsbeschleunigung.

Als Solist des Festivals schlechthin darf sich der begnadete Sopransaxofonist Emile Parisienne feiern lassen, der mit seinem Sextett Louise erwartungsgemäß für einen Höhepunkt des viertägigen Geschehens sorgte. Ebenso wie Weltklassepianist Vijay Iyer, der im heiligen Trio-Format mit Dynamik und einer charismatischen Unmittelbarkeit überwältigte.

Zwischendurch ertönte mit der Trompeterin und Sängerin Alba Careta auch ein kleines versöhnliches Highlight mit viel Hingabe und melancholisch katalanischem Kolorit. Und alle waren happy.