Pure Begegnung“ gibt es heuer auf mehreren Ebenen im Hause Wiegele, das nicht nur die wunderbaren Hausbäckerei, sondern auch das „Museum des Nötscher Kreises“ beherbergt.
Zum einen begegnet man von außen her über einen liebevoll angelegte Rosenkorso das Haus, in dem der wohl wirkmächtigste Vertreter der bekannten Gailtaler Künstlergruppe, Franz Wiegele (1887–1944), geboren und aufgewachsen ist. Hierher ist er nach kriegsbedingten Irrwegen 1927 wieder zurück. Leider hat ihn dort in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges, infolge eines Bombenabwurfs, der Tod ereilt. Mögen die Blumen im Vorgarten des imposanten Hauses an den Rosenfreund und ausgezeichneten Stilllebenmaler Wiegele erinnern. Im Inneren des Hauses konfrontiert der Geruch von frischem Brot, knackigen Semmeln, Potize/Putize und anderen Köstlichkeiten an die Nutzung des Hauses. Hochgestiegen in den ersten Stock thematisiert eine gediegen angelegte Ausstellungsdramaturgie „pure Begegnungen“, von Franz Wiegele, festgehalten in Porträts.

Menschen wie du und ich

Mit rund 50 Arbeiten, exemplarisch zusammengestellt aus Malereien und Zeichnungen, wird mit charmantem didaktischen Gestus der Kuratoren Sigrid Diewald und Peter Assmann (Chef der Tiroler Landesmuseen) die große Spannbreite von „Menschenbildern“ entfaltet. Im ersten Teilen des Ausstellung mit Porträts von Männern und Frauen, dann Frauen mit Kindern und Kinder, schließlich alle zusammen als Familie. Man sieht sie an: Menschen wie du und ich. Herausgelöst aus dem Alltag, in ihrer Personalität sichtbar gemacht, sind es zeitlose Bilder. Pure Menschenbilder. Magisch und schön. Viele, aus Privatbesitz stammende Arbeiten, werden erstmals in der Öffentlichkeit präsentiert.
Was aber, in Zeiten von „social distancing“, besonders an Wiegeles Porträtkunst herausfordert, ist die Unmittelbarkeit der künstlerisch transformierten, menschlichen Gesichtszüge: Unverhüllt, unmaskiert, offen und ungeschützt. So treten sie einem entgegen. Man sieht sie an und sie blicken zurück. Ihr lauterer Blick auf die Betrachter, aber auch die Blicke, die sie in Gruppenbildern miteinander austauschen, ziehen in ihren Bann. Gleich im ersten Raum erfährt man diese Irritation an einem Selbstbildnis des Künstlers. In einer zart angelegten Bleistiftstudie reduziert sich das Menschbild auf ein penibel herausgezeichnetes Auge. Ein Blick, der einen nicht mehr los lässt und in den anderen Bildern stets aufs Neue begegnet. Allesamt sieht man sie. Sie schauen zurück und fordern: „Du musst Dein Leben ändern!“ (Rilke). In jeder Hinsicht sehenswert und wirklich „pure Begegnungen“.

Der Künstler selbst
Der Künstler selbst © Museum Nötscher Kreis