Es sind 3,24 Quadratzentimeter eines ikonografischen Gemäldes, die das Belvedere zum Verkauf anbietet. Gustav Klimts „Der Kuss“ wurde in 10.000 Teile parzelliert und für je 1850 Euro verkauft. Zum Valentinstag startete man die Aktion und lukrierte auf einen Schlag 3,2 Millionen Euro. Das Bild selbst hängt weiterhin unzerschnipselt im Museum: Man verkaufte selbstverständlich kein Original, sondern den 10.000-sten Teil eines Fotos. Dazu nutzte man die NFT-Idee, mit der „digitale Originale“ verkaufbar werden.

Das Wiener Belvedere ist eines der ersten Museen, die am NFT-Hype partizipieren möchten. Der Verkauf von digitaler Kunst unter dem Schlagwort „Krypto-Kunst“ ließ die Kunstwelt 2021 erschauern. Die Bildercollage „Everydays“ des Künstlers Beeple wurde um 61 Millionen Euro verkauft, während für die Besitzrechte an dem primitiven, 24 mal 24 Pixel großen Bildchen „Cryptopunk #5822“ vor einigen Tagen 20,8 Millionen Euro bezahlt wurden. Die ökonomischen Logiken der digitalen Welt, die oft an Raubrittertum erinnern und offensichtlich auf waghalsigsten Spekulationen basieren, scheinen das Verhältnis zwischen Kunst und Wert neu zu mischen.

Die großen Kunstinstitutionen wurden hellhörig: Die Uffizien in Florenz verkauften eine mit NFT-Zertifkat versehene digitale Abbildung von Michelangelos „Doni Tondo“ um 140.000 Euro. Die Kritik an solchen „Geldbeschaffungsaktionen“ ließ nicht auf sich warten. Ganz abgesehen davon, dass solche Transaktionen durch die verwendete Blockchain-Technologie einen hohen CO₂-Ausstoß nach sich ziehen, handelt es sich bei einem Schnipsel „Kuss“ oder „Doni Tondo“ nicht um digitale Kunst, sondern um digitale Abbildungen von Originalen: Also im Grunde um ein E-Poster oder „digitale Sammelkarten“, wie Kolja Reichert sagt.

Der deutsche Kurator und Kunsttheoretiker ist Experte für Krypto-Kunst und hat eine ambivalente Haltung zum Phänomen: „NFTs haben mit einem Original nichts zu tun und auch nichts mit Kunst. NFTs sind schlicht einzigartige Token auf einer Blockchain, die sich mit beliebigen Gütern verknüpfen lassen, um als Eigentumszertifikat zu dienen. Das kann eben auch Kunst sein, auch eine digitalisierte Fotografie von Klimts ,Der Kuss‘. Diese digitalen Sammelkarten haben null Wert außer dem, der ihnen durch den Kauf zugestanden wird.“

Letzter Satz gilt wohl für Kunst generell, auch wenn Reichert keinerlei Illusionen über die Natur von NFTs nähren möchte: „NFTs gaukeln eine Essenz vor, wo keine ist. Außer, man kann mit ihnen Künstler unterstützen.“ Tatsächlich finden sich NFT-Anwendungen, die weit über Millionenspekulationen mit harmlosen Pixelbildchen hinausgehen. Reichert: „Interessant wird es, wenn etwa das kongolesische Künstlerkollektiv CATPC eine aus ihrer Region stammende Skulptur, die sich in einem Museum in Richmond, USA, befindet, ,mintet’ und davon NFTs verkauft, um mit den Einnahmen Land zurückzukaufen und wieder nachhaltige Landwirtschaft einzuführen. So werden NFTs zum Instrument digitaler Restitution.“ Nach einer schönen Utopie klingt Reicherts Vorschlag, Kunst an NFTs zu knüpfen, um für mehr Gerechtigkeit auf dem Kunstmarkt zu sorgen: „Bisher müssen Künstler und ihre Galerien zusehen, wie im Fall eines Weiterverkaufs andere an ihren Werken verdienen. Mit Werken verknüpfte NFTs erlauben es, bei jedem Weiterverkauf per Smart Contract automatisch Tantiemen an alle Vorbesitzer auszuschütten. Damit würden sich Risiken und Investitionen für kleine Galerien wieder lohnen.“