Wer Roland Girtler im Internet besucht, liest zunächst einmal Folgendes: „Willkommen auf meiner Webseite. Begrüße Sie, Sie sind ein gütiger Mensch! Gott segne Sie für Ihren Mut!

Das macht klar: Der Mann hat Humor. Der nächste Klick führt zu „Meine Bücher“. Fast vier Dutzend Publikationen finden sich hier. Das Spektrum ist schillernd. Es reicht von „Der Adler und die drei Punkte. Die gescheiterte, kriminelle Karriere des ehemaligen Ganoven Pepi Taschner“ über „Vaganten, Studenten, die Kultur des Alkohol und das Ideal der Freiheit“, „Der Strich. Soziologie eines Milieus“ und „Die alte Klosterschule. Eine Welt der Strenge und der kleinen Rebellen“ bis zu „Irrweg Jakobsweg. Die Narbe in den Seelen von Muslimen, Juden und Ketzern“, „Die wechselseitige Niedertracht der Wissenschaftler“ und „Die 13 Geheimnisse des Kahlenbergs“.

Seine Dissertation legte Girtler 1971 – „nach 25 Semestern“ – über „Die Rechtsnormen der souveränen Eingeborenengruppen in Nordwestaustralien“ vor. Sie ist vermutlich noch in jener Sprache verfasst, die der Autor sehr bald hinter sich lassen sollte: „unverständliches Zeug, das aber vielen imponiert“.

Girtler, der sich 1979 an der Universität Wien habilitierte und in der Folge zu ihrem unkonventionellen Star avancierte, bevorzugt andere „Methoden der Feldforschung“, wie ein anderes seiner Bücher heißt. „Verstehende Soziologie“ lautet das Motto, die Resultate der Forschungen dürfen durch die Bank als verständliche Soziologie gelobt werden.

Geboren in Wien-Ottakring, wuchs Girtler als Sohn eines Landarzt-Ehepaars in Spital am Pyhrn auf, studierte zunächst Jus („Die Zeugnisse habe ich alle verbrannt“) und schloss sich der schlagenden Studentenverbindung Corps Symposion Wien an (Burschenschaften wurden später einer seiner Forschungsbereiche). Ethnologie, Urgeschichte, Philosophie und Soziologie hießen die weiteren Studienrichtungen. Daneben arbeitete er in vielerlei Jobs vom Bierausführer bis zum Filmkomparsen. Im Rückblick für ihn wichtigere Erfahrungen als die der Vorlesungen.

Speziell die Ränder der Gesellschaft hatten es Girtler von Anfang an angetan. Als Vertreter der „teilnehmenden Beobachtung“ tauchte er in diverse Milieus ein. Etwa in jenes der Wiener Kriminellen Pepi Taschner und Alois Schmutzer, die Freunde wurden. In einem so informativen wie vergnüglichen Gespräch auf wien.at erzählt Girtler vom Ehrbegriff der Unterweltler, vom Stolz Schmutzers, zwei Mal in „Aktenzeichen XY“ – eine „Art ,Seitenblicke' für Ganoven“ (Girtler) – präsent gewesen zu sein.

Zu seinen Vorlesungen lud Girtler – nebenbei passionierter Fußgeher, Radfahrer, Sammler von Taschenuhren und Mitgestalter des Wilderermuseums St. Pankraz am Pyhrn – gern Vertreter seiner jeweiligen Studien ein. Nach kritischen Kollegen-Stimmen ließ er einen legendären Aushang anbringen: „Polizisten, Pfarrersköchinnen und Prostituierte werden gebeten, ihrer Arbeit auf universitärem Boden nicht nachzugehen.“ Auch Exkursionen mit Studierenden ins Bordell standen auf dem Lehrplan. Weil: „Nur mit Fragebögen versteht man nichts.“ Einschlägige Angebote wie „Suchen S’ Ihnen eine Dame aus!“ habe er immer abgelehnt: „Man darf nicht erpressbar sein.“