Es ist wirklich lange her, dass ein neues Evanescence-Album auf den Markt kam. Vor zehn Jahren erschien das "Evanescence" genannte Album, am Freitag erscheint "The Bitter Truth". Zwar hatte die US-Band 2017 mit "Synthesis" alte Lieder in orchestralen Arrangements recycelt, jetzt geht es aber wieder härter zur Sache: "Es gibt bei uns nie einen großen Plan. Aber ich hatte das Gefühl, dass wir alle wieder bereit waren zu rocken", sagte Sängerin Amy Lee bei einer Zoom-Präsentation des Albums.

"Wir alle wollten wieder mehr als Band gemeinsam in eine rockigere Richtung gehen", betonte Lee. Die Musik von Evanescence sei immer von allen Musikern geprägt: "Es gab ja einige Umbesetzungen bei uns, und ich wollte immer, dass die Persönlichkeiten und die Vorlieben der jeweiligen Bandmitglieder sich in der Musik manifestieren."

Ob sie zuletzt von aktueller Musik beeindruckt oder gar beeinflusst wurde, lautete eine Frage an die Sängerin, die mit "Billie Eilish" prompt antwortete. "Es kommt immer seltener vor, dass mir ein ganzes Album gefällt. Aber das von Billie Eilish ist großartig. Da kann ich jeden Song hören. Ich mag das Dunkle, die Verletzlichkeit. Aber ich habe zuletzt auch viel altes Zeug gehört. Manche Leute haben über unsere neuen Songs gesagt, sie spüren dieses Feeling von Grunge. Das ist mein alter Einfluss! Diese Musik habe ich immer gemocht, die Grunge-Szene der Neunziger!"

Generell nehme sich ihre Band "viel Zeit, um an Songs" zu arbeiten, betonte Lee. Einige Tracks auf "The Bitter Truth" reichen in ihrer Entstehung tatsächlich weit zurück: "Viele Songs haben über eine Dekade Gestalt angenommen, sie sind also bereits ein großer Teil meines Lebens. Es ist so viel passiert. Es gibt so viel zu sagen. Dann wurde auch noch die Welt komplett auf den Kopf gestellt. Die neuen Songs zu schreiben, war heilsam. Ich weiß nicht, wie ich das alles verarbeitet hätte, wenn ich nicht ein Album zu machen gehabt hätte", so Lee. Nachsatz: "Ich habe in meinem Leben immer wieder eine Lektion gelernt: Es kommt darauf an, was du aus dem machst, was dir passiert."

Schwierige Aufnahmen

Bandkollege Troy McLawhorn, seit 2007 bei Evanescence an der Gitarre, hob die Schwierigkeiten beim Aufnahmeprozess durch den Lockdown hervor: "Wir hatten vier Songs vor der Pandemie aufgenommen. Bevor wir weiterarbeiten wollten, war eine Europatour geplant - die dann nicht stattfinden konnte. Plötzlich saß jeder zu Hause fest. Nach ein paar Monaten haben wir einen Weg gefunden, um trotzdem zusammenzukommen. Wir mussten uns testen lassen und Möglichkeiten finden, wie wir unseren Bassisten Tim McCord von Kalifornien nach Nashville bringen konnten. Das war ein großes Unterfangen, weil wir dort ja längere Zeit gearbeitet haben. Daher galt es, seine ganze Familie mitzubringen."

Für McLawhorn sei das weniger umständlich gewesen: "Ich lebe nicht so weit weg von Nashville. Daher konnte ich mit dem Auto ins Studio und dann wieder nach Hause fahren, ohne dazwischen mit irgendjemanden Kontakt zu haben." Gitarristin Jen Majura war allerdings die meiste Zeit im Studio nicht dabei. "Es war mühsam, wir mussten ihr Material schicken, auf das sie ihre Teile spielte", erzählte ihr Kollege.

Ein Verschieben der Veröffentlichung von "The Bitter Truth" kam nicht infrage, betonte Amy Lee: "Wir wollten nicht länger warten. Dass wir nicht touren können, ist natürlich ein Jammer. Normalerweise sehe ich tausende Hände in der Höhe und bekomme so eine Reaktion auf unsere Songs. Stattdessen werde ich in Sozialen Medien ein bisschen schauen, wie die Fans das neue Material aufnehmen. Ich glaube, sie werden es mögen."