Wenn schon in einer aktuellen Agenturmeldung von der „Folk-Fee der Friedvollen“ die Rede ist, dann muss in der Rezeption bis heute etwas schieflaufen. Windschief! Eine Fee ist eine mit Zauberkräften ausgestattete Gestalt aus der Märchenwelt. Joan Baez hingegen – so zauberhaft viele ihrer Songs auch sind – ist eine tatkräftige Gestalt aus der Wirklichkeit, die mit starker Stimme und aus tiefster Überzeugung seit sechs Jahrzehnten gegen die Verwerfungen und Verkarstungen ebendieser Wirklichkeit ansingt.
Auf dem „Civil Rights March“ der Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King am 28. August 1963 sang sie „We Shall Overcome“, bis heute eines der bedeutendsten Protest- und Durchhaltelieder. Das war nicht feenhaft. Auf dem Woodstock-Festival 1969 trat Baez schwanger auf, prangerte soziale Missstände an, sang Dylans „I Shall Be Released“ und Gospel-Stücke wie „Swing Low, Sweet Chariot“. Auch das war nicht feenhaft.

Apropos Dylan: Diesen blutjungen Provinzler hat die Baez, damals schon kommerziell erfolgreich und politisch aktiv, Anfang der 60er-Jahre kennen- und kurzfristig auch lieben gelernt. Die Beziehung hielt freilich nicht, konnte nicht halten. Dylan, obwohl in dieser Szene groß und berühmt geworden, stand bald unter Strom, nabelte sich rabiat von der Folkszene ab, wollte weder Leitfigur noch Liebender sein. Und Baez wurde von der Protest-Intelligenzia gerne als naive Träumerin abgetan. Liebenswürdig, aber zu weichgespült. Feenhaft.

Bereits als junge Frau eine Pionierrolle

Dabei: Am 9. Jänner 1941 in der Nähe von New York City als Tochter eines Vaters mit mexikanischen Wurzeln und einer Schottin geboren, nahm sie in der florierenden Folkszene bereits als junge Frau eine Pionierrolle ein. Schon ihre ersten Platten waren ein Erfolg, mehr als zwei Dutzend folgten, zuletzt (2018) das hervorragende Album „Whistle Down the Wind“. Obwohl Joan Baez sowohl in ihrer Gesinnung als auch in der Qualität ihrer Musik beständig war, wurde sie trotz acht Nominierungen mit keinem Grammy bedacht – aber immerhin 2007 mit dem Preis für ihr Gesamtwerk.
Auf die Frage nach Wertschätzung antworte sie in einem Interview: „Als ich noch jung war, hat es mich auch nie entmutigt, dass es zwischen Frau und Mann einen Unterschied gibt.“ Die großen Bühnen meidet die 80-Jährige inzwischen, denn sie hadert mit ihrem Gesang, der mitgealtert sei und „weiter absinkt“. Von solchen Selbsterkenntnissen sind ihre männlichen Kollegen meist befreit.