Am 18. Dezember 2008 gab der große Alfred Brendel sein Abschiedskonzert im Musikverein an der Seite der Wiener Philharmoniker unter Charles Mackerras. Der Rückzug von der Konzertbühne bedeutete für den Starpianisten jedoch nicht den Rückzug ins Privatleben, war der intellektuelle Musikdeuter seither doch weltweit als Essayist und Vortragender aktiv. Am 5. Jänner feiert Alfred Brendel, der einst Armin Thurnher gar zu einem Roman inspirierte, 90. Geburtstag.

Angesichts der Coronavirus-Pandemie sorgt sich der Jubilar um die Musikbranche. "Die Auswirkungen des Virus auf das Konzertleben, die Opernhäuser, die Orchester, Chöre und Kammermusikvereinigungen und die einzelnen Musiker sind erschreckend", sagte er vor seinem 90. Geburtstag der Deutschen Presse-Agentur.

"Wenn ich in Konzerte gegangen bin, so mit Vorliebe um neue Musik zu hören", erzählte Brendel, der als einer der bedeutendsten Künstler des 20. und 21. Jahrhunderts gilt. Der weltberühmte Pianist, der in London lebt, nicht jedoch von der Musik. Vor der Pandemie habe er gern Musiker in seinem Haus empfangen, verriet er. In Zeiten von Corona begnügt sich Brendel mit Aufzeichnungen. "Während der freiwilligen Isolierung habe ich mit großer Dankbarkeit Opernaufführungen der Metropolitan Opera, der Berliner Komischen Oper, aus Salzburg, Glyndebourne und von Covent Garden am Fernseher erlebt."

Seine Interpretationen von Haydn, Mozart, Liszt, Beethoven oder Schubert sind weltberühmt. "Ich hatte ja selbst viele Schallplatten gemacht und bleibe mit den großen alten Musikern durch ihre Aufnahmen in Verbindung", so Brendel, dem dennoch etwas fehlt. "Natürlich sehnen wir uns trotzdem alle nach der Körperlichkeit eines Konzerts, dabei zu sein, drin zu sein, die gleiche Luft zu atmen, das Risiko ebenso mitzuerleben wie das Gelingen."

Auch wenn er nicht mehr öffentlich am Klavier sitzt, bleiben die Verdienste der sechs Jahrzehnte währenden Karriere des Musikers unvergessen. So war Brendel wesentlich mitbeteiligt an der Etablierung der Schubert-Sonaten und des Klavierkonzerts von Schönberg im internationalen Konzertrepertoire. Er war auch der erste Pianist, der das Klavierwerk Beethovens in seiner Gesamtheit auf Schallplatte aufnahm, neben Schubert und Mozart ein weiteres Steckenpferd des Vielarbeiters. Dass er dabei als Pianist nicht immer die erste Geige spielen muss, stellte er als Liedbegleiter mit renommierten Interpreten wie Dietrich Fischer-Dieskau unter Beweis. Und nicht zuletzt machte sich der charismatische und humorvolle Musikmensch auch als Autor einen Namen, was ihm anerkennende Beinamen wie "Klavierdenker" und "Tastenphilosoph" eintrug.

Dabei lebt Brendel seit 1971 in London - und denkt auch nicht daran, daran etwas zu ändern. "Ich bin nicht jemand, der Wurzeln sucht oder braucht. Ich möchte so kosmopolitisch wie möglich sein. Ich ziehe es vor, zahlender Gast zu sein", hatte er zu seinem 80. Geburtstag der "Westdeutschen Zeitung" beschieden.

Dieses Weltbürgertum war dem späteren Klaviervirtuosen förmlich in die Wiege gelegt, entstammt er doch einer österreichisch-deutsch-italienisch-slawischen Familie und wurde am 5. Jänner 1931 in Loucne nad Desnou (Wiesenberg) in Mähren geboren, wo er seit 2005 Ehrenbürger ist. Er studierte Klavier, Komposition und Dirigieren in Zagreb, bevor er nach Graz ging und sich bei Paul Baumgartner, Edwin Fischer und Eduard Steuermann weiterbildete. 1950 kam er nach Wien und entfaltete seit dieser Zeit seine international anerkannte Tätigkeit als Pianist, die ihm in Europa, der Sowjetunion, den USA und in Japan zu großen Erfolgen verhalf.

Vier Jahrzehnte war er bei den Salzburger Festspielen zu erleben. Und seit seinem ersten Klavierabend am 12. Februar 1957 hielt er der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien die Treue, wo er oft zu Gast war. Im Frühjahr 1965 und im Winter 1982/83 spielte Brendel an jeweils sieben Abenden alle 32 Klaviersonaten von Beethoven, 1988 führte er Franz Schuberts spätes Klavierwerk in vier Konzerten zyklisch auf.

Auch mit Fernsehsendungen und Publikationen fand Brendel international große Beachtung. Eine erste Sammlung seiner musikalischen Aufsätze erschien 1977 unter dem Titel "Nachdenken über Musik", im Schubertjahr 1978 produzierte er die Fernsehserie "Alfred Brendel spielt Schubert" mit Einführungen zu den einzelnen Klaviersonaten. 1990 veröffentlichte der Künstler in London sein zweites Buch "Sounded out", dessen deutsche Fassung "Musik beim Wort genommen" seit 1992 vorliegt. Seinen Bühnenabschied reflektierte er 2010 mit dem Sammelband "Nach dem Schlussakkord". Aber auch mit literarischen Texten trat Brendel an die Öffentlichkeit. So liegen von ihm etwa die Gedichtbände "Ein Finger zuviel" und "Spiegelbild und schwarzer Spuk" vor.

Für sein Können wurden Brendel zahlreiche Ehrendoktorate verliehen. 1998 wurde er überdies Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker. Zudem ist er Träger des Frankfurter Musikpreises, des Kommandeurkreuzes Erster Klasse und des Goldenen Ehrenzeichens der Stadt Wien, das ihm im Jahr 2010 überreicht wurde. 2004 erhielt er den mit 150.000 Euro dotierten internationalen Ernst-von-Siemens-Musikpreis, dem 2009 der renommierte japanische Praemium Imperiale, 2014 die Goldene Mozartmedaille der Stiftung Mozarteum und 2016 der Echo Klassik für sein Lebenswerk folgten.