Die Archive der Popmusik sind naturgemäß keine Archive des Schweigens, sondern gefüllt mit lautstarken Tondokumenten. Vieles wurde zum Soundtrack unseres Lebens, vieles ist dem Vergessen anheimgefallen. Oft ist das gut so; zum Beispiel dann, wenn das Gehörte unerhört schlecht geraten ist. Oft aber ist das schade, denn in diesen Archiven (und anderswo) lagern seit Jahrzehnten zahlreiche „Lost Albums“, die es aus unterschiedlichsten Gründen nie in unsere Gehörgänge geschafft haben.

Viele Mythen und Gerüchte – freilich auch eifrig geschürt von den Künstlern selbst – ranken sich um diese verlorenen Schätze, und einer der eifrigsten Schatzmeister ist der allseits hochgeschätzte Neil Young.„Homegrown“ heißt das grandiose Album, das jetzt, 45 Jahre nach der Aufnahme, das Licht der Öffentlichkeit erblickt und in Wahrheit gar nicht verloren war, sondern damals, 1975, einfach nicht ins Konzept gepasst hat. Im Jahr 1974 brachte Young die traumatische Depri-Platte „On the Beach“ heraus, dann nahm er die Songs von „Homegrown“ auf. Doch der knarzige Tüftler veröffentlichte nicht diese Platte, sondern das dunkelgrau schimmernde Schuld-und-Sühne-Meisterwerk „Tonight’s the Night“, das bereits 1973 entstanden war.

Das eine Album, das entkam

Einige der Stücke von „Homegrown“ erschienen auf späteren Aufnahmen, doch nie die gesamte Platte. Bis jetzt. Young selbst nennt es „das eine Album, das entkam“. Gut, dass er es jetzt wieder eingefangen hat, denn das zerrissene, aber durchgehend hochkreative Werk ist voll von bittersüßen Balladen, ruppigen Song-Skizzen und surrealistischen Ausflügen in diverse Städte und staubige Landschaften. Dass er diese Schatztruhe so lange nicht gehoben hat, begründet Young damit, dass der Inhalt ihm zu nahe gegangen sei. Kein Wunder, verarbeitet er auf „Homegrown“ doch die sich abzeichnende Trennung von der Schauspielerin CarrieSnodgress. Und wie so oft in der Kunst hat auch Young aus dem Schmerz und dem Scheitern Werke voll erhabener Schönheit und Kraft destilliert.

Ähnlich geheimnisumwittert wie das Lächeln von MonaLisa ist das Album „Smile“ der Beach Boys, das vom grenzgenialen BrianWilson im Alleingang produziert wurde und von den anderen „Strandbuben“ verstört boykottiert wurde. Viele Verschwörungstheorien ranken sich um diesen Geniestreich, angeblich war Wilson 1967 vom Beatles-Album „Sgt. Pepper“ dermaßen eingeschüchtert, dass ihm sein Lächeln gefror. Erst 2004 – Wilson war zwischenzeitlich wegen einer psychischen Erkrankung entmündigt worden – erschien das lange verschollen geglaubte Werk als Soloalbum unter dem Titel „Brian Wilson Presents Smile“.

Auch aus den Archiven des 2016 verstorbenen DavidBowie tauchen immer wieder Schätze auf, die dieser selbst dort versenkt hatte, weil sie seinen eigenen Ansprüchen nicht genügten. Ab 1974 etwa entbrannte Bowie für Soul und Funk und nahm das Album „The Gouster“ auf. Die Masterbänder verstaubten in den Regalen, das Album wurde erst nach seinem Tod als Teil eines Boxsets veröffentlicht.