Die Grundthese des Buches lautet, so wie der Journalismus heute ist, kann er nicht bleiben und Sie führen dafür eine Reihe an Krisen und Gründen an. Was ist sein Kardinalfehler?
Alexandra Borchardt: Der Journalismus beschäftigt sich oft zu sehr mit sich selbst und dem Wettbewerb, und zu wenig mit dem Publikum. Er kann auch nicht so bleiben, wie er ist, weil ihm die wirtschaftliche Lebensgrundlage wegbricht, was die Coronakrise noch einmal verstärkt. Man muss also über neue Finanzierungsformen nachdenken. Aber die wirkliche Herausforderung ist es, sich unverzichtbar im Leben seines Publikums zu machen. Man muss den Menschen etwas bieten, was sie dringend haben wollen und brauchen, und das schafft der Journalismus oft nicht, weil die Journalisten sich zu sehr gegenseitig belauern, anstatt ihr Publikum zu belauern.

In den USA verschwanden in 15 Jahren 1800 Zeitungen. Was passiert mit Regionen, sogenannten news deserts, in denen alle Regionalzeitungen geschlossen haben?
Borchardt: Es ist wirklich so, dass das demokratische Engagement in solchen Regionen zurück geht. Es stellen sich weniger Leute zur Wahl, weniger gehen wählen und es wird mehr Geld verschwendet, wenn Politik unter Ausschluss der Öffentlichkeit gemacht wird. Es gibt mehr Mauscheleien, wenn die öffentliche Kontrolle und die Wächterfunktion durch die Medien fehlen. Und natürlich sind Menschen, die keine verlässlichen Informationen bekommen, empfänglicher für Verschwörungstheorien. Die Polarisierung, die man in den USA sieht, hat sicher auch damit zu tun, dass Leute in vielen Teilen des Landes keine verlässlichen journalistischen Quellen mehr haben, denen sie vertrauen.

Ihr Buch kam gleichzeitig mit dem Ausbruch der Coronakrise heraus. Wie sehr wird die Coronakrise die Medienlandschaft verändern?
Borchardt: Die Coronakrise verändert die Situation radikal. Letztlich beschleunigt sie eine Entwicklung, die vorher schon da gewesen ist. Das alte Geschäftsmodell ist erodiert, Anzeigenkunden haben andere Marketingwege gefunden und die Kleinanzeigen, die den Medienhäusern früher gute Geschäfte beschert haben, sind abgewandert. Die Medienhäuser, die sich dem Wandel noch nicht gestellt haben, sind jetzt in tiefen Schwierigkeiten.  

Alexandra Borchardt. Mehr Wahrheit wagen. Warumdie Demokratie einen starken Journalismus braucht.Duden, 224 Seiten, 18,50 Euro.

Was heißt das konkret?
Borchardt: Ich behaupte, die gedruckte Tageszeitung, die an fünf bis sieben Tagen die Woche kommt, wird es in ein paar Jahren so nicht mehr geben. Ich glaube, dass sehr viele Medienhäuser sagen werden, wir reduzieren das, machen nur noch eine Wochenendausgabe und sonst ist das Digitale die geeignetere Form, um mit den Bürgern in Kontakt zu treten, vor allem auch mit den jüngeren Generationen. Die Menschen brauchen den Journalismus, aber sie brauchen nicht unbedingt das Papier.

Führt diese Krisensituation mittelfristig zu besserem oder zu schlechterem Journalismus?
Borchardt: Ich glaube, dass schlechter Journalismus Probleme haben wird, zu überleben. Schlechter Journalismus im Sinne von schlampigem, irrelevantem, uninteressantem und etwas, das ich als MeToo-Journalismus bezeichne, also wenn alle das Gleiche bringen, weil sie sich davon eine hohe Klickrate erhoffen. Ich glaube, dass der Journalismus durch die Krise besser werden kann, weil er sich nun stärker auf das konzentrieren muss, was er wirklich leisten kann und viele Redaktionen die Kräfte jetzt bündeln werden, um sich zum Beispiel auf investigativen oder sehr verbrauchernahen Journalismus zu konzentrieren. Die Redaktionen werden gezwungen sein, einiges wegzulassen und das, was sie weglassen werden, ist hoffentlich wirklich der schlechte Journalismus oder die Information, die man eh überall haben kann.

Das klingt danach, als wäre es für Leser nicht nur eine schlechte Nachricht, wenn Zeitungen dünner sind oder nicht mehr jeden Tag auf der Türmatte liegen?
Borchardt: Ich war viele Jahre lang Chefin vom Dienst bei der Süddeutschen Zeitung und da haben wir auch schon immer mit Lesern zu tun gehabt, die meinten, das sei ihnen alles zu viel Lesestoff, sie schaffen das alles nicht. Sehr selten beschwerten sich Leser, es sei zu wenig. Die Informationslandschaft ist heuer eine ganz andere, als früher, wo man sich mit Informationen unterversorgt fühlte.

Studien zeigen einen steigenden Anteil in der Bevölkerung, der Nachrichten gezielt aus dem Weg geht. Wie holt man diese Menschen zurück ins Boot?
Borchardt: Mit interessantem Journalismus, der auch mal andere Formate haben kann, zum Beispiel Service oder Veranstaltungen, in diesen Zeiten natürlich digital. Bei Leuten, die man gar nicht mehr abholen kann, wird es natürlich schwierig. Jeder in einer Demokratie ist auch Staatsbürger und sollte sich vor einer Wahlentscheidung informieren. Aber ich denke, Menschen haben ein natürliches Bedürfnis sich zu informieren und wenn es nur darum geht, was in ihrer Umgebung passiert. Der Lokaljournalismus ist immer noch ein verbindendes Element.

Wenn Sie ein Medienhaus nach drei Ratschlägen fragen würde. Welche wären das?
Borchardt: Wer ist mein Publikum und wie kann ich es begeistern? Was kann meine Redaktion besonders gut und wie kann ich die Stärken bestmöglich nutzen? Und Drittens: Es gilt funktionierende Geschäftsmodelle zu entwickeln und dazu gehört manchmal auch das Weglassen. Weniger, aber das was man macht, besser machen.

Zur Person: Alexandra Borchardt ist Journalistin, Medienberaterin und unterrichtet an der Universität der Künste in Berlin. Sie arbeitete u. a. für die „Süddeutsche Zeitung“ und die „Financial Times“.