In seinem neuen Buch lädt Karl-MarkusGauß zu einer "AbenteuerlichenReise durch mein Zimmer". Der Titel fasst das Thema freilich zu eng. Der Band dient als Reiseführer nicht bloß durch ein Zimmer, sondern durch die ganze Gauß'sche Wohnung in Salzburg, deren Geschichte und Geografie Ausgangspunkt für allerlei Abschweifungen bietet.

Dass der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller und Publizist, der statt der viel beschworenen "offenen Grenzen" an der Schwelle zu den eigenen vier Wänden nach eigener Aussage eine eher rigide Zugangsregelung eingeführt hat, künftig mehr Laufkundschaft als bisher an seiner Wohnungstüre empfangen oder abweisen muss, hat er sich selbst zuzuschreiben. Denn die verwinkelte, zwei Etagen umfassende Wohnung in einem 1896 erbauten Haus am Fuße des Mönchsbergs wird von ihm derart liebevoll und interessant geschildert, dass man als Leser sofort zu einem Lokalaugenschein aufbrechen möchte, um die bei der Lektüre entstandenen Kopf-Bilder mit dem Original zu vergleichen. Quasi die Gegenbewegung zum Selbst-Experiment des Autors, der einmal zur Blind-Erkundung seiner Wohnung aufbricht und dabei feststellt, dass seine Füße dafür ein präziseres Gedächtnis haben als sein Kopf.

Gauß beruft sich auf den 1795 erschienen Roman "Voyage autour de ma chambre" des französischen Autors Xavier de Maistre als Referenzwerk und setzt sich sogleich leichtfüßig darüber hinweg. Denn natürlich geht es ihm gar nicht darum, eine enzyklopädische Erfassung seiner weit mehr als sieben Sachen vorzulegen (er sei bei Gott kein Sammler, betont Gauß gleich zweifach, die einzige Ausnahme sei seine Kollektion von Hotel-Duschhauben, für die er leider keine Tauschpartner habe), sondern um naheliegende Gründe, in die Ferne zu schweifen.

Und schon findet man sich dort, wo Gauß mittels seiner meisterhaften Kunst der Essayistik seine Leser am liebsten haben will: bereit ihm überall hin zu folgen. In das mährische Zlin, wo die Begründer der Bat'a-Werke eine Arbeiter-Musterstadt schufen, oder vor die eigene Bibliothek, die seit einer einmaligen Entschlackungskur künftig nur noch auf Zuwachs programmiert ist - ein häuslicher, heimlicher Widerstandsakt gegen die zunehmende gesellschaftliche Geringschätzung des Gedruckten.

Man schließt Freundschaft mit Gauß' Teetassen, die ihm von Freunden aus aller Welt mitgebracht wurden und sieht seine häuslichen Wände in dichter Petersburger Hängung bedeckt, man begleitet österreichische Afrikaforscher auf ihren Expeditionen und wundert sich mit ihm darüber, dass sämtliche Fensterscheiben des Hauses "zwei Weltkriege überstanden, die fast alles veränderten und Millionen Menschen das Leben kosteten". Und am Ende staunt man noch über ein Lob des alkoholischen Rausches und ein Baudelaire-Zitat: "Wer nur Wasser trinkt, hat etwas zu verbergen." Gauß dagegen zeigt alles her - oder gibt das zumindest vor. Auf die denkbar intelligenteste und eloquenteste Art und Weise.

Karl-MarkusGauß: "AbenteuerlicheReise durch mein Zimmer", Zsolnay Verlag, 224 Seiten, 22,70 Euro