Die Welt ist aus den Wimpern eines Riesen gebaut. Wenn sie endet, wird ein Schiff, beschlagen mit den Fingernägeln der Toten, in See stechen. Das, was dich beschützt, wird dich auch umbringen. Das Ende ist alles, das Leben vergeht. Ungeheuerliche Vorstellungswelten tun sich auf in der Edda, Islands Nationalmythos, der von Göttern, Helden, Weltenlauf erzählt und den der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnasson und sein Co-Autor Mikael Torfason auf die Bühne des Burgtheaters bringen. Die 2018 in Hannover uraufgeführte Produktion wurde für die Wiener Fassung weiterentwickelt und gekürzt.


Bühnennebel wabert über die ersten Zuschauerreihen, aus dem Dunkel dringt, synchron auf Isländisch (Elma Stefania Agustsdottir) und Deutsch (Dorothee Hartinger), die Völuspa, der Schöpfungsmythos. Er erzählt von einer Zeit, in der Sonne, Mond und Sterne ihren Platz noch nicht kannten, aber auch vom Brand der Weltesche Yggdrasil und von der Götterdämmerung Ragnarök, von Beginn und Vergehen der Welt also, weil die Zeit, die die Edda beschreibt, nicht chronologisch-linear verläuft, sondern als Kreislauf, in dem Anfang und Ende einander bedingen.


Auf der schneebedeckten, mit Requisiten vollgeräumten Bühne wird der Weltenbaum errichtet, Allvater Odin (Markus Hering) klettert herab und sticht sich, als Preis für allumfassende Erkenntnis, sein linkes Auge aus, beobachtet von den drei Nornen, dem Fenriswolf (Stacyian Jackson), der Midgardschlange (Marta Kizyma); Götterkriege brechen aus, Zwerge werden betrogen. Einem Riesen wird die Liebesgöttin Freyja (Andrea Wenzl) zur Frau versprochen, wenn er um den Göttersitz Asgard eine Mauer baut, die kriegt er nicht und wird zum Dank auch noch erschlagen, Thor (Marie-Luise Stockinger) rächt sich für den Diebstahl seines Hammers mit einem blutigen Massaker, am Ende wird der Betrügergott Loki (Florian Teichtmeister), der sich als Anstifter und Sieger allen Geschehens sah, allein in einer zerfallenden Welt zurückbleiben.

Eine Bar als Schlachtfeld


Vielleicht würden die Bilderwirbel (Bühne: Wolfgang Menardi) und Klangtumulte (Musik: Gabriel Cazes), das Pathos und der Slapstick dieser knapp dreieinhalb durchwegs grandios in Szene gesetzten und gespielten Stunden ja doch irgendwann redundant, wäre da nicht eine Erzählung, die, während Lichtgott Baldur (Jan Bülow) der Todesgöttin Hel (Elma Stefania Agustsdottir) anheimfällt, das mythische Geschehen ins Gegenlicht einer intimen Tragödie setzt: Darin schildert Autor Mikael Torfasson das Sterben seines Vaters am Alkohol: als Wikinger, mit Flasche und Drink als Schwert und Schild und mit der Bar als seinem Schlachtfeld. So berichtet diese „Edda“ an der Burg am Ende nicht nur von der Aura der Mythen, sondern auch von ihrer Wirkung bis in die Gegenwart. Langer Applaus.