Der Autor Marko Dinic wurde 1988 in Wien geboren und verbrachte seine Kindheit und Jugend in Belgrad. Er studierte in Salzburg Germanistik und Jüdische Kulturgeschichte. Die APA sprach mit ihm über die Ambivalenz Peter Handkes, die Diskussion anlässlich des Nobelpreises, über die Narrative der serbischen Nationalisten und der Europäischen Union und wie diese aufgebrochen werden könnten.

Herr Dinic, wie haben Sie vor einer Woche die Nachricht von der Zuerkennung des Literaturnobelpreises an Peter Handke erhalten - und was waren Ihre ersten Gedanken dazu?

Marko Dinic: Ich habe es über Nachrichtenportale im Internet erfahren. Meine erste Reaktion war: Scheiße! Jetzt beginnt die Diskussion! Seither verfolge ich diese Diskussion und bin auch Teil von ihr, obwohl sie schon Karl Valentin'sche Züge angenommen hat: Es wurde alles schon gesagt, aber noch nicht von jedem. Ich glaube, beide Seiten müssen mit der Ambivalenz dieses Werkes und dieses Autors leben. Es nützt nichts, sich die ganze Zeit im Kreis zu drehen. Man sollte eher die Gelegenheit benutzen, sich genau anzuschauen, was dieser Mensch von sich gegeben und geschrieben hat.

Was Sie ja auf der Universität und auch als Autor gemacht haben.

Dinic: Ich habe anfangs Handkes Werk gemieden. Aus eben jenen Gründen. Das ließ sich bis zu einem gewissen Grad tatsächlich bewerkstelligen, aber als in Salzburg Studierender kann man Handke nicht wirklich entkommen. Also habe ich angefangen, mich ein bisschen mit seinem Werk und vor allem mit seinem Frühwerk auseinanderzusetzen. Und natürlich springt einem sofort diese Meisterschaft und dieses Können ins Auge, das im Grunde in der deutschen Sprache in dieser Variation, in dieser Fülle, in dieser Farbe ihresgleichen sucht. Ich glaube, seine Meisterschaft in der Literatur lässt sich genauso wenig bestreiten wie der Umstand, dass er mit serbischen Nationalisten den Schulterschluss gesucht hat. Für den serbischen Nationalismus und in der Ausformung seines Narrativs des ewigen Opfers ist Peter Handke eine Schlüsselfigur.

Handkes Welthaltung ist die eines Einzelgängers - alleine gegen den Rest der Welt. Kann es sein, dass das auch der Hauptantrieb bei seiner proserbischen Haltung ist?

Dinic: Das ist eine mögliche Erklärung, aber dann würde ich Herrn Handke politisches Unvermögen oder sogar Dummheit vorwerfen, denn allein aus Trotz sich für so eine Seite zu entscheiden, wäre fatal. Er übersieht, dass es in Serbien eine riesige Protestbewegung gegeben hat. Wenn er sagt hat, ich komme von Homer, Cervantes und Tolstoi, stellt mir nicht solche Fragen, muss man ihm sagen: Entschuldigung, selber schuld! Er muss damit leben, dass er diesen Schwachsinn von sich gegeben hat. Und er hat sich niemals wirklich davon distanziert. Dieser Nobelpreis ist auch ein politischer Preis. Auf der anderen Seite ist klar, dass es keinen anderen Autor der Gegenwart gibt, der so ein Oeuvre, so eine Poetik hinter sich hat wie Peter Handke. Mit dieser Ambivalenz müssen wir jetzt alle leben. Egal, ob wir für oder gegen ihn sind.

Sasa Stanisic hat seine Frankfurter Buchpreis-Rede zu Kritik an Handke genutzt. Wie denken Ihre anderen Kolleginnen und Kollegen aus Ex-Jugoslawien darüber, mit denen Sie sich ausgetauscht haben?

Dinic: Bei den Leuten, mit denen ich geredet habe, ist durchwegs ein ganz klarer Schock zu erkennen. Vor allem bei denen aus Bosnien. Das kann man ja auch absolut nachvollziehen, wie die sich fühlen müssen. Viele Leute aus dem ehemaligen Jugoslawien haben das Gefühl, dass dadurch Sachen legitimiert, weißgewaschen werden. Seitdem ich in der EU lebe, bekomme ich dieses Narrativ vom siebzigjährigen Frieden in der Europäischen Union vorgesetzt. Aber es stimmt nicht, es ist eine Konstruktion, die die Jugoslawien-Kriege außen vor lässt. Die passen nicht zu dieser ach so friedlichen Heilsgeschichte der Europäischen Union. Obwohl die EU sehr wohl etwas mit diesen Kriegen zu tun hat.

Soll man sich nun an Handkes literarische oder seine persönlich-politischen Äußerungen halten?

Dinic: Beides müsste passieren, wenn beide Teile miteinander ins Gespräch kommen wollen. Aber danach sieht es nicht aus. Beide Lager verhärten sich. Dabei wünschte ich mir eine nachhaltige Diskussion über den Jugoslawien-Krieg, denn vor diesem Hintergrund wäre vielleicht besser zu verstehen, wie es zu so etwas wie dem Syrien-Krieg kommen konnte oder zu jenen, die gerade aktuell sind.

Ihr Roman "Die guten Tage" ist Teil einer Literatur, bei der junge Autoren, die ihre Wurzeln in Ex-Jugoslawien haben, die Traumatisierungen ihrer Generation aufarbeiten. Führen diese Bücher auch zu einer offeneren politischen Diskussion in der Region selbst?

Dinic: Ich habe schon das Gefühl, dass die Leute langsam anfangen, Mut zu fassen und beginnen, Dinge beim Namen zu nennen. In den Ländern selber ist es natürlich schwierig, weil dieselben Leute noch ander Macht sind und versuchen, jene Narrative zu unterbinden, die wir schaffen möchten. Auch dadurch, dass es einen großen Braindrain gibt und wir alle sehr verstreut leben, ist es schwierig, eine Kontinuität im gemeinsamen Diskurs zu finden. Man müsste einen Zusammenschluss der Intellektuellen aus dem ehemaligen Jugoslawien gründen, eine intellektuelle Gegenmacht aus der Diaspora.

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)