Es war die große Frage des Abends: Zeichnet die Jury in Venedig Roman Polanski mit einem Preis aus? Sein Film "J´accuse" wurde von der Kritik gefeiert, doch im Vorfeld war die Einladung des 86-Jährigen heftig diskutiert worden. Hatte doch die Oscar-Akademie den Regisseur 2018 im Zuge der #MeToo-Bewegung ausgeschlossen; in seinem Fall geht es um sexuellen Missbrauch einer 13-Jährigen im Jahr 1977. Nun, Jurypräsidentin Lucrecia Martel und die anderen Mitglieder der Jury setzten sich  über Bedenken hinweg: Roman Polanski wurde für sein historisches Antisemitismus- und Justizdrama über die Dreyfus-Affäre in Frankreich mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet.

Der Goldene Löwe ging an Todd Phillips und seinen Film "Joker"  - durchaus verdient. Vor allem Joaquin Phoenix wurde für seine überragende schauspielerische Leistung gefeiert. Eine Buchvorlage gibt es hierzu nicht, deswegen konnte sich Regisseur Todd Phillips ("Hangover"-Filme) viele erzählerische Freiheiten nehmen und nutzt diese für eine atmosphärische Charakterstudie. Sein Arthur Fleck ist ein psychisch schwer kranker Mann, der im verwahrlosten Gotham City in eine manische Abwärtsspirale gerät - und zum Held der ignorierten Bevölkerung wird. Korrupte Politiker, frustrierte Bürger und ein fehlendes soziales Netz bilden den Nährboden für die Entstehung des Jokers. Die Zuschauer erfahren auch, wie dessen Hass auf Bruce Wayne alias Batman entstand.

Als bester Schauspieler wurde allerdings der Italiener Luca Marinelli für die Jack-London-Verfilmung "Martin Eden" gewürdigt, als beste Schauspielerin die Französin Ariane Ascaride für "Gloria Mundi".

Der Silberne Löwe für die Beste Regie ging an Roy Andersson für seinen Film "About Endlessness". Er erzählt in dem von "Tausendundeiner Nacht" inspirierten Film von alltäglichen Geschehnissen im Leben verschiedener Menschen und blickt dabei in ihre traurigen Seelen. Der in Hongkong lebende Yonfan gewann den Preis für das beste Drehbuch für den Animationsfilm "No. 7 Cherry Lane". 

Yonfan wurde für das Beste Drehbuch ausgezeichnet
Yonfan wurde für das Beste Drehbuch ausgezeichnet © APA/AFP/ALBERTO PIZZOLI

Die Dokumentation "La mafia non è più quella di una volta" des Italieners Franco Maresco bekam den Spezialpreis der Jury. Mit dem Marcello-Mastroianni-Preis für den besten Jungdarsteller wurde Toby Wallace ausgezeichnet, der in "Babyteeth" der Australierin Shannon Murphy einen Drogensüchtigen spielt. Die deutsche Koproduktion "The Perfect Candidate" der saudi-arabischen Regisseurin Haifaa Al Mansour ging leer aus. Österreich war heuer im Reigen nicht vertreten.

Insgesamt 21 Filme hatten um die Hauptpreise konkurriert. Darunter waren auch mehrere Hollywood-Produktionen, neben dem Siegerfilm "Joker" auch "Ad Astra" mit Brad Pitt und Tommy Lee Jones sowie "Waiting for the Barbarians" mit Johnny Depp und Robert Pattinson. Steven Soderberg schickte "The Laundromat" ins Rennen, ein Drama über die Veröffentlichung der Panama Papers mit Meryl Streep und Gary Oldman.