Während des Festivals kann Cannes schon mal Furcht einflößen. Überall Gedrängel, dichte Menschentrauben und Sicherheitsmaßnahmen, für die unter anderem Soldaten mit Maschinengewehren durch die Straßen laufen. Ja, selbst der Einlass kann im Geschiebe häufiger mal zum Horror werden. Kein Wunder also, dass Bill Murray für seine Antwort nicht als erstes Monster, Vampire oder Zombies in den Sinn kamen. „Ich habe Angst vor Cannes“, sagte der US-Schauspieler gestern mit typisch trockenem Humor in der Pressekonferenz auf dem Festival in eben genau der südfranzösischen Stadt.

Glamourschub

Zombies allerdings, entgegnete der Moderator, habe man doch auf der Croisette noch nicht gesehen. „Sagen Sie!“, schob Murray daraufhin hinterher – und zumindest auf der Leinwand im Festivalpalais wurden zum Auftakt schon mal unzählige Untote gesichtet. Sie irrlichterten durch den Eröffnungsfilm „The Dead Don’t Die“ von Cannes-Stammgast Jim Jarmusch, der abgesehen von der Zombie-Apokalypse auch ein All-Star-Ensemble an die Azurküste brachte. Neben Murray sorgten Adam Driver, Selena Gomez, Tilda Swinton und Chloe Sevigny dafür, dass die 72. Ausgabe des Festivals mit starkem Glamourschub startete.

Polar-Fracking

Nach Filmen wie der Vampir-Liebesgeschichte „Only Lovers Left Alive“ oder dem metaphysischen Western „Dead Man“ nähert sich die Independent-Ikone Jarmusch damit einmal mehr einem Genre auf ganz eigene, unverkennbare Weise. „The Dead Don’t Die“ zeigt dabei eine Welt, die durch Polar-Fracking sprichwörtlich aus den Fugen geraten ist. Auch in der gemütlichen Kleinstadt „Centerville“ zwischen Diner, Motel und Polizeistation ist das zu spüren. Dort gehen erst rätselhafte Dinge vor sich, dann steigen die Toten reihenweise aus ihren Gräbern. Wenn sich der unverwüstliche Ur-Punk Iggy Pop dabei mit Hüftschaden als Untoter kaffeedurstig ins nächste Diner schleppt, muss man ganz unweigerlich an seine Diner-Begegnung mit Tom Waits in Jarmuschs Episodenfilm „Coffee & Cigarettes“ denken. Aber auch sonst streut Jarmusch immer wieder Anspielungen ein, vor allem auf die Horror-Klassiker, wiederholt auf Zombie-Mastermind George Romero und seinen Klassiker „Die Nacht der lebenden Toten“, auf „Nosferatu“ und „Psycho“.

Wie im echten Leben

Die Zombies werden dabei angezogen von Dingen, von denen sie auch als Lebende angezogen wurden. Chardonnay, WLAN, Smartphones. Für Jarmusch sind die Untoten Überbleibsel des Materialismus. Zombies waren sie zu Lebzeiten schon. „Es wird nicht gut enden“, ist ein Satz, der immer wieder fällt. Und tatsächlich denkt Jarmusch hier die Zombie-Apokalypse konsequent pessimistisch zu Ende, was Tom Waits als zauseliger Einsiedler raunend kommentiert.

Apokalypse in Zeitlupe

Auch im größten Ausnahmezustand ändert sich am Ruhepuls des Films nichts. Der Filmemacher lässt die Apokalypse in Zeitlupe über die 738 Einwohner hereinbrechen – und inszeniert das als popkulturell verspielte Horror-Komödie, die wie viele andere Zombie-Filme auch tiefere Bedeutungsebenen eröffnen will. „The Dead Don’t Die“ ist schließlich Bestandsaufnahme von Trump-Amerika in Untoten-Gestalt und ein Kommentar auf die zerstörte (Um-)Welt, die in den Untergang trudelt.

„Es ist beängstigend zu sehen, in welcher niemals dagewesenen Geschwindigkeit die Natur zerstört wird“, sagte Jarmusch in Cannes. „Was mir Sorge bereitet, sind die Apathie und das Scheitern etwas anzugehen, das alle Lebewesen bedroht.“ Ein politisches Thema wollte der Regisseur darin allerdings nicht erkennen. Politik sei nur eine Ablenkung. Politik würde nichts retten. Vielmehr sieht er in dieser Hinsicht jeden einzelnen in der Verantwortung.

Nur sanfter Grusel

Trotz bester Voraussetzungen und vieler hübscher Einfälle will „The Dead Don’t Die“ aber nicht richtig gut funktionieren. Für Horror ist der Grusel zu sanft und das Wühlen in den Eingeweiden sehr verträglich dosiert. Für eine Komödie dringen Ironie und der lakonische Jarmusch-Humor nicht oft und stark genug durch. Und als metaphorische Gesellschaftsbetrachtung fällt der Film zu mild und schlicht zu simpel aus. Herausgekommen ist letztlich aber ein recht mittelmäßiger Jarmusch – und ein Film, den man toller finden möchte, als er eigentlich wirklich ist.