Am Ende türmen sich auf der Bühne Leichen. Warum, ist nicht wirklich nachvollziehbar. Aber als Schlussbild verfehlt der Verfall in die Reglosigkeit nur selten seine eindringliche Wirkung. Zumal der Stillstand diesfalls noch einen anderen Hintergrund hat. Nach 20 Jahren beendet Starregisseurin Andrea Breth ihre immens erfolgreiche Tätigkeit am Burgtheater.

Zum Abschied holte sie Gerhart Hauptmanns naturalistisches Meisterwerk „Die Ratten“ aus dem Theaterfundus. Mehrere Jahre lang hatte der Dramatiker stets neue Versionen seines als Tragikomödie ausgewiesenen Elendsgemäldes aus der wilhelminischen Zeit geschaffen, dessen Handlung um vielerlei Achsen rotiert. Weniger wäre wohl mehr gewesen. Allerdings nicht bei Andrea Breth, zu deren herausragenden Fähigkeiten auch die Texttreue zählt. Wie mit dem Stethoskop horcht sie jeden Satz ab, um zu erkunden, ob darin nicht versteckt eine Doppeldeutigkeit röchelt. Dies führt immer wieder zu wunderbaren Verwandlungen von Wort und Geste zu Fleisch und Blut, zu Authentizität und zu großen schauspielerischen Leistungen.

Schauplatz der „Ratten“ ist eine desolate Berliner Mietskaserne. Armut, Verzweiflung, Gewalt, Heuchelei, großbürgerlicher Hochmut wohnen darin Tür an Tür. Im Zentrum des Geschehens steht Pauline (Sarah Viktoria Fritsch), arm, verlassen, hochschwanger, nicht bereit, ihr Kind zu gebären. Eher will sie in den Tod gehen. Ihre Nachbarin, Frau John, verlor ihr Baby schon nach wenigen Tagen. Sie verspricht Pauline, das Neugeborene zu übernehmen.

Ein paar Jahre später fordert die wahre Mutter ihr Kind zurück, die Katastrophe nimmt ihren Lauf, tiefe menschliche Abgründe tun sich dabei auf. Völlig weltfremd probt unterdessen im Dachgeschoß eine dilettantische Schauspielertruppe, geleitet von einem einstigen Theaterdirektor, Schillers „Braut von Messina“ und palavert über Wert und Sinn der holden Kunst. Herausragend dabei Sven-Eric Bechtolf als Theatermacher und Christoph Luser als aufmüpfiger Rebell.

Ein Haus Herzenstod, hart prallen soziale Gegensätze aufeinander, jeder Ansatz von innerer Wärme erstarrt, kaum ausgesprochen, zu Frost. Martin Zehetgruber schuf dazu ein ideales, labyrinthisches Bühnenbild, reich an Glaswänden, übersät mit altem Zeitungspapier. Tiefe Blicke in verzweifelte, verlorene Seelen kann man darin dank Andrea Breths Profilschärfe der Figuren tun.

Ein Triumph großer Schauspielkunst, an der auch Michael Ofczarek als debiler Gewalttäter dämonischen Anteil hat. Wie ein Spuk zieht diese Inszenierung vorbei, einiges landet wohl wieder im Theatermuseum, der soziale Befund aber bleibt: Manchmal sinkt das Schiff, aber die mächtigen Ratten bleiben.