Wir sitzen in der Maske im Burgtheater. Sie bekommen für Ihre Rolle in „Mephisto“ eine Glatze und ein kreideweißes Make-Up. Wie sehr hilft Ihnen die Maske dabei, in die Rolle hineinzuschlüpfen?
NICHOLAS OFCZAREK: Das ist ganz wichtig. Max Reinhardt hat gesagt: „Enthüllung ist die Aufgabe des Schauspielers, nicht Verstellung.“ Mir hilft eine Maske durch die Veränderung bei der Enthüllung. Ohne Maske zu spielen, ist genauso furchtbar, wie ohne Publikum zu spielen. Das ist genauso schlimm wie sinnlos. Deshalb mag ich Proben auch nicht.


Stimmt Sie dieser Prozess auf den Abend auf der Bühne ein?
Ich bin ein großer Freund dieses Rituals. Ich komme immer so knapp es geht. Für „Mephisto“ brauchen wir eine Stunde. Das fokussiert mich, holt mich aus der Welt raus. Jedes Stück hat eigenes Ritual. Müsste ich mir ohne solche Hilfsmittel vergegenwärtigen, was ich vor mir habe, würde ich durchdrehen.

Brilliert in "Mephisto": Nicholas Ofczarek


Für Ihre beängstigende Darstellung wurden Sie in den Kritiken hymnisch gefeiert. Was ist das Interessante an dieser Rolle?
Klaus Mann hat zu Lebzeiten von Gustaf Gründgens einen Roman geschrieben – eine Abrechnung. Er hat sie weder Gründgens noch Herr Intendant genannt, sondern Mephisto. Seine Lebensrolle. Sehr interessant sind die Diskrepanz und der Opportunismus der Figur: Der Mann hat mit den Nazis kollaboriert, hat aber andererseits viele Menschen gerettet, um dann zu sagen: „Ich bin einfach nur Schauspieler, ich bin kein politischer Mensch.“ Seine Geschichte führt uns zu der Frage, ob wir uns aufgelehnt oder wie wir gehandelt hätten, wenn wir im Dritten Reich gelebt hätten. Was diesen Menschen anbelangt, gibt es keine eindeutige Antwort.


Die Diskrepanz einer Figur gibt einem als Schauspieler doch viel Spielraum.
Man muss die Nerven haben, zu sagen, man formuliert es eben nicht zum Ende aus, damit der Zuseher die Möglichkeit hat, selbst darüber nachzudenken. So kann die Figur dann durchaus positiv sein – in dem sie plötzlich abstoßend, anrührend oder widerwärtig ist.


Sind Sie denn ein politischer Mensch?
Ja, was auch immer Sie darunter verstehen.


Was verstehen Sie darunter?
Zu versuchen zu durchschauen, wie die Mechanismen funktionieren. Für mich und mein Leben stelle ich mir einen bestimmten Umgang mit meinen Mitmenschen vor, den ich gerne leben würde und den ich von meinen Mitmenschen auch gerne zurück bekomme.


Nämlich?
Ich versuche, keine anderen Menschen auszugrenzen oder in großartigen Hierarchien zu denken – außer in meinem Beruf. Im Theater braucht es Hierarchien, die allerdings auf gegenseiten Verabredungen beruhen.
Eine Burgtheater-Premiere ist doch auch ein Politikertreffen.
Finden Sie? Ich habe den Wiener Bürgermeister oder den Bundeskanzler noch nie im Burgtheater gesehen, nicht einmal den aktuellen Kulturminister. Von der FPÖ habe ich nie jemanden gesehen, außer den aktuellen Vizekanzler, der 1988 bei der Uraufführung von Thomas Bernhards „Heldenplatz“ unter Claus Peymann in der Galerie gestanden ist und laut „Buh“ gerufen hat. Ehrlich gesagt entdecke ich sehr wenige Politiker. Das hat sich in den letzten Jahren verändert.


Ärgert Sie das?
Ärgern tut es mich nicht. Ich nehme es, vor allem was den Kulturminister anbelangt, staunend zur Kenntnis. Es wundert mich, dass er sich kein Bild macht.


In „Schöne Bescherungen“ von Alan Ayckbourn sind Sie in einer ganz anderen Rolle zu sehen – als verklemmter Hausherr. Wie geht es Ihnen mit so einer Rolle?
Ich würde in keiner Sekunde so wie dieser Mensch reagieren – diese Figur ist Neuland für mich. Das ist ein weicher, schwacher, vorsichtiger, scheuer Zauderer und Verdränger. Das ist aber auch interessant, weil sich darunter ein gähnender Abgrund auftut. Sagen wir so: Alles, was der Norm nicht entspricht, interessiert mich.


Nach 25 Jahren: Was ist das Burgtheater für Sie?
Heimat. Da bin ich her, da gehör ich hin (lacht). Das ist wie mein Wohnzimmer, ein großes Stück meines Lebens. Ich verbringe viel Zeit hier und habe hier schon viel erlebt: Ich habe meine Frau hier richtig kennengelernt, bin Vater geworden. Mittlerweile hat meine Tochter schon maturiert und ich bin immer noch da.


Im September tritt Martin Kušej als Burgtheaterdirektor an. Wie blicken Sie dem Intendanten-Wechsel entgegen?
Gelassen. Es ist mein vierter Wechsel. Es ist immer ein wenig komisch, denn dein Wohnzimmer wird zuerst ein- und dann wieder ein bisschen anders neu eingeräumt. Die Perspektive ändert sich, obwohl jene davor nicht unbedingt schlecht war. Es ist immer spannend, aber auch schmerzhaft und irritierend. Es dauert einige Zeit, sich neu einzuleben.


Haben Sie sich jetzt schon einmal getroffen?
Ja, wir haben uns jetzt erstmals in der neuen Rolle getroffen, es war ein sehr offenes Gespräch. Wir kennen uns ja: er war schon zwei Mal mein Intendant – einmal bei den Salzburger Festspielen, einmal in München. Jetzt wird er mein Burgtheater-Intendant.