"Serotonin" ist, wie jeder Houellebecq: Gleichzeitig Abgesang und Hohelied auf den depressiven, weißen Mann. Und - wie kaum ein Houellebecq - ein unzynisches Bekenntnis zur Liebe.

Als prophetisches Werk war "Serotonin" angekündigt, Houellebecq habe seine scharfen Beobachtungen ein weiteres Mal in einen hellseherischen Roman gegossen. Wie zuletzt in seiner dystopischen Variation auf die Islamophobie in "Unterwerfung" (2015) und bereits in "Plattform" (2001), das er in einem terroristischen Blutbad enden ließ. Ja, es gibt in "Serotonin" eine Szene, in der verzweifelte normannische Milchbauern bewaffneten Widerstand gegen den Freihandel leisten. Der Protagonist Florent-Claude, ein Agraringenieur, der bereits für Monsanto, für regionale Käseprodukte sowie für die französische Regierung gearbeitet hat, sagt die Vernichtung der französischen Landwirte durch Globalisierung und EU-Primat voraus. Und ja, das ist einer der Gründe für seine Depression.

Nur gilt für Literaten ebenso wie für Politiker: Wer mit Kalkül am Narrativ des Zeitgeistes mitschreibt, ist kein Hellseher, sondern ein Populist. Und wen bei Houellebecq schon länger der Verdacht beschlichen hat, dass sein Ruf als provokanter Prophet des Untergangs vor allem ein Marketingtool ist, dem gab der Autor zeitgerecht zum Erscheinungstermin weitere Evidenz zur Hand: In einem Interview pries er Donald Trump und dessen Protektionismus in höchsten Tönen und empfahl auch gleich den Frexit - rohes Fleisch, dem Feuilleton zum Fraß vorgeworfen.

Aber zurück zu "Serotonin", das weitgehend losgelöst vom Selbstvermarktungsgetöse auf knapp 340 Seiten als recht ordentliches Romanwerk über Glück und Liebe, vor allem aber über deren Abwesenheit existiert. Erzähler Florent-Claude ist 46 und depressiv, als er beschließt, aus seinem Leben zu verschwinden. Seine Beziehung, die ausschließlich auf Sex basierte, ist mangels Libido zur Qual geworden, beruflich ist er vor allem "angewidert von der Nichtigkeit meiner Arbeit" für das Landwirtschaftsministerium, andere Lebensinhalte gibt es nicht. Er kündigt, zieht wortlos in ein Hotel um, später an die normannische Küste und besorgt sich ein Antidepressivum, das es ihm ermöglicht, zumindest die täglichen Verrichtungen zu bestreiten. Die Pille macht süchtig - und entleert. "Was endgültig war, lässt sie vergehen; was unumgänglich war, macht sie unwesentlich."

Vor diesem tristen Hintergrund lässt er nun sein bisheriges (Liebes)leben Revue passieren. Da gibt es viele bissige Beobachtungen, weich verpackt in schmunzelnswertem Pessimismus-Stakkato, und manchen, mit betonter Houellebecq'scher Lässigkeit hingeworfenen, poetischen Moment. Da gibt es, freilich, viel Pornografisches, gibt es gezielt gesetzte Grenzüberschreitungen zu Sodomie und Pädophilie, gibt es den üblichen, von den Verwerfungen und Sensibilisierungen der #metoo-Bewegung wenig überraschend völlig unberührten Sexismus, der sich an trotzig vorgetragenen Plattitüden über Frauen im Speziellen und Schlampen im Allgemeinen ergötzt.

Aber es gibt, viel überraschender, auch Reue gegenüber der verpassten Chance, einen fast kindisch romantischen Glauben an die eine, wahre Liebe, die von der Sinnlosigkeit erlöst, die alles gut und richtig gemacht hätte. Einzig unbezwingbares Hindernis war man selbst in seiner Arroganz gegenüber dem Glück.

Im Epilog wird der Erzähler gar religiös, kontert sich selbst mit Gott und Jesus Christus. Das sei ihm unbenommen, wirkt angesichts der gerade einmal sauber gearbeiteten Dramaturgie der Story aber ein bisschen hoch gegriffen. Man muss ja nicht gleich "die überschwängliche Liebe" des Allerhöchsten bemühen, "die in unsere Brust strömt", nur weil man unverhofft seine romantische Ader entdeckt hat. Man muss auch nicht gleich eine Prophezeiung über den Untergang der Welt abliefern oder dramatische politische Ereignisse des echten Lebens vorhersagen. Gegen einen wohlverdienten, empathischen Hinweis auf die Strapazen der normannischen Milchbauern ist doch wirklich nichts einzuwenden.