Das Haus der Geschichte Österreich hat mehrere Probleme. Eines ist seine mangelnde Sichtbarkeit. Es zu finden, ist nicht einfach, zufällig darauf zu stoßen nahezu unmöglich. Ein weiteres Problem ist seine Lage in den verwinkelten Raumfluchten der Neuen Burg. Die Hauptausstellung endet vor einer versperrten Doppeltüre, die einen Stock oberhalb gelegene Wechselausstellung vor einem versperrten Notausgang. Der logisch scheinende Durchgang von der Ausstellung über die jüdischen Musiker Arnold und Alma Rosé in die Sammlung Alter Musikinstrumente ist nicht möglich. Wer hinter die Glastüre möchte, wird auf den Eingang über das im benachbarten Corps des Logis gelegene Weltmuseum Wien verwiesen. Und schließlich ist die geringe Ausstellungsfläche - bloß etwas mehr als dreimal so groß wie jener Altan, der aus Sicherheitsgründen gesperrt bleibt - ein Problem. Die Ausstellung ist keines. Denn die ist fast mustergültig. Beinahe möchte man sagen: musterschülerhaft.

Ein Jahrhundert Zeitgeschichte auf 750 Quadratmetern zu verhandeln und anschaulich zu machen, ist eine Aufgabe, die fast nicht zu bewältigen ist. Das Konzept, den gesamten ersten Raum dem Umbruch des Jahres 1918 zu widmen und die zwei anschließenden Räume mit einer Mischung aus Zeitleiste und Themenschwerpunkten zu bespielen, ist schlüssig und geht auf. Die Überfülle an Informationen und Exponaten erschlägt den Besucher allerdings. 1.905 Objekte sind in der Ausstellung untergebracht, darunter Leihgaben aus 17 Ländern und von 155 privaten Leihgebern. Es ist eine Flut an Plakaten, Fotos und Schriftdokumenten, die es zu sehen, erfassen und inhaltlich einzuordnen gilt. In einem einzigen Besuch ist das kaum zu bewältigen.

Gestalterisch überzeugt der Auftaktraum nicht gänzlich. Der erste Eindruck, den die hier verwendeten, zusammengeschraubten Rohrkonstruktionen vermitteln: Österreich ist eine Baustelle, die in herrschaftliche Architektur eingefügt wurde. Auf klassischem Parkettboden sind hier einige Vitrinen, Schautafeln sowie eine Metalltribüne mit Hörstationen untergebracht. Der Raum wird von einer zentralen Konstruktion dominiert, in der zwei Filme laufen: Sie zeigen die Geschehnisse vor dem Parlament am 12. November 1918. Dazu gibt es zu diesem Geburtstag der Republik einen Live-Ticker. Im ersten Saal finden sich auch erste Mitmach-Elemente. Neben historischen Wahlurnen darf man selbst an einer Umfrage teilnehmen: Erhoben wird, wer in Österreich lebt und an Nationalratswahlen teilnehmen darf. Und wer nicht. Auch an Rollen, die Straßenumbenennungen zeigen, darf man drehen.

Schlüssiger und einheitlicher präsentieren sich die beiden anschließenden Säle. BWM Architekten haben nicht nur die über 60 Meter laufende begehbare Zeitleiste als modernes, weißes Hochregal gestaltet, das alle paar Meter jeden Dekadensprung mit Neonjahreszahlen anzeigt, sondern dieses Ausstellungsdesign auch für die fünf Themenschwerpunkte verwendet. Diese sind zu wenig klar getrennt, schaffen damit aber auch ein reizvolles Durcheinander, das für manche Überraschungsmomente sorgt. Wer sich in der Abteilung "Wunder Wirtschaft?" etwa darüber wundert, dass das Brettspiel "Das kaufmännische Talent" (DKT) 1936/37 unter dem Titel "Spekulation" erfunden wurde, stößt ein paar Meter weiter in der Sektion "Diktatur, NS-Terror und Erinnerung" auf ein Gesellschaftsspiel, das nur ein Jahr später auf den Markt kam: "Juden raus".

Die Übergänge von historischen Ereignissen zur Erinnerung an sie sind fließend. Eine große Grafikwand zeigt jene Selbstdarstellung, die Österreich in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau in den 1970er-Jahren repräsentierte: "Österreich: Erstes Opfer des Nationalsozialismus". Wenige Schritte weiter findet sich die viel besprochene und schlüssig gemachte Installation, die verschiedene Begriffe für die Jahre 1933 bis 1938 in ihren verschiedenen Aspekten zur Diskussion stellt. Hier erfährt man auch, was gegen den von den Ausstellungsmachern gewählten Begriff "Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur" einzuwenden ist: Er vermeidet den Begriff Faschismus, spitzt auf die Kanzler zu und unterscheidet zwischen Dollfuß und Schuschnigg nicht. Überhaupt scheint dieser Themenkomplex der brisanteste - wird er doch vom hölzernen Waldheim-Pferd Alfred Hrdlickas dominiert, findet sich hier eine von Ferdinand Lacina verfasste Mitschrift aus Vorlesungen des antisemitischen Hochschulprofessors Taras Borodajkewycz ebenso wie das Liederbuch der Germania, das jüngst für Skandal sorgte.

Natürlich finden sich jede Menge außergewöhnliche Exponate - von Conchitas ESC-Robe bis zu Hermann Maiers Sturzhelm, von einem Entwurf zum Österreichischen Staatsvertrag, bei dem Österreichs Mitverantwortung an den Verbrechen der NS-Zeit von Leopold Figl handschriftlich gestrichen wurde bis zur Metalltafel, die an der Oberwarter Sprengfalle montiert war. Das Kapitel "Das ist Österreich!?" spielt liebevoll mit Heimatklischees und bietet auch eine Sessellift-Installation auf, "Grenzen verändern?" anhand von ausgewählten Orten in den Bundesländern abzuhandeln ist eine brillante Idee, die hervorragend umgesetzt wurde und auch mit der Flüchtlingskrise in die Gegenwart führt. Dagegen wirkt "Gleiche Rechte?!" über gelebte Solidarität ein wenig wie eine Pflichtübung. Ein paar freche, überraschende, kontroversielle Ideen täten der Ausstellung noch gut.

Am Ende steht man vor einer Wand, an der man Post-its hinterlassen kann mit jenen Begriffen, für die zu kämpfen sich auch heute noch lohnt. "Freiheit" und "Gerechtigkeit" liegen klar in Führung. Vielleicht gibt es doch keinen Grund zu Pessimismus? Mal sehen, wie das nächstes Mal aussieht. Denn wiederkommen muss man sowieso. Schon alleine, weil man beim Zurückgehen zum Eingang, der gleichzeitig auch der Ausgang ist, allzu viel an Bildern, Infos und Screens der bunten Zeitleiste links liegen lassen muss. Hier entdeckt man im Vorbeigehen auch eine Fotogalerie, die verlassene EU-Grenzstationen zeigt. Auf einen einzigen Blick sieht man da noch einmal, was erreicht wurde. Und was nicht wieder verloren gehen darf.