Ich habe soeben eine Textnachricht via Handy verschickt, die Ihren Namen enthielt. Das Korrekturprogramm hat aber aus „Morak“ immer „Moral“ gemacht. Sind Sie denn ein Moralist, Herr Morak?
Franz MORAK: Ich glaube schon. Wenn man viel liest, auch internationale Zeitungen, da stoßen einem schon Sachen auf, die contre coeur gehen. Andererseits: Wenn man schon etwas älter und abgebrühter ist, fragt man sich natürlich gleichzeitig, inwieweit das alles auch stimmt. Wir leben ja in einer Empörungsgesellschaft. Das lässt mich oft zögern, alles für bare Münze zu nehmen, was an Aufregung produziert wird.

Sie singen ja in einem Ihrer neuen Songs vom „Catwalk der Aufgeregten“.
Franz MORAK: Ja, diese Aufgeregtheit ist eine Krankheit der Zeit. Wir leben von Bildern, die frei Haus geliefert werden, und sind an der Wirklichkeit nicht mehr interessiert. Zur Aufgeregtheit kommt die Furcht dazu; aber nicht vor etwas Konkretem, sondern vor etwas Erwartetem.

Gleich im Intro zur neuen Platte wird klar, dass es in den Liedern nicht sonderlich lustig zugehen wird. Es geht um Bergwerke des Zweifels, Blumenwiesen des Bösen, Boten der Apokalypse, Casinos der Langeweile, Verliese der Schwerkraft ...
Franz MORAK: Ja, aber als Ausgleich in dieser Aufzählung von Ihnen gibt es auch andere Momente, einen poetischen Zugang zur Erschaffung der Welt. Einer, den ich Gott nenne, wirft zum Beispiel die Sterne in die Nacht, damit die Zeit ihren Weg im Unendlichen finde.


Wie kam es eigentlich überhaupt zu dieser neuen Platte nach so langer Zeit des musikalischen und auch sonstigen Ruhens?
Franz MORAK: Ganz am Anfang stand, Sie werden es nicht glauben, der Filmemacher Karl Spiehs. Er kam auf mich zu und fragte: „Würden Sie die Bibel lesen?“ Ich habe dann abgelehnt, weil das der Ben Becker schon sehr gut gemacht hat. Aber da reifte die Idee in mir, dass man eine neue Platte mit einer neuen, von mir geschriebenen Schöpfungsgeschichte beginnen könnte. Darin sollte es darum gehen, wie wir einander und die Welt bewerten. Und das tun mir mit: Geld und Aufmerksamkeit.

Beides hängt ja eng zusammen. Wer ist es wert, dass ich ihm meine Aufmerksamkeit widme?
Franz MORAK: Natürlich. Wofür haben wir noch Zeit? Wann rentiert sich unsere Aufmerksamkeit? Wem gewähren wir sie? Wir sind ja umgeben von unzähligen Zeitvernichtungsmaschinen, die uns den Blick auf uns selbst verstellen. Meine Schöpfungsgeschichte ist eine Interpretation der Jetztzeit. Und in diese Welt der Börsen wurden die Clowns geschickt, die uns diese Welt erklären sollen.

Aber obwohl es so viele Clowns gibt, haben wir nicht mehr viel zum Lachen.
Franz MORAK: Es gibt ja auch die traurigen, bösartigen Clowns.

Franz Morak
Franz Morak © APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)


Die große Lust am Wort ist auch auf der neuen Songsammlung wieder spürbar.
Franz MORAK: Ja, das war mir natürlich schon am Theater sehr wichtig. Alles ergibt sich aus dem Wort, aus jedem Buchstaben, aus der Betonung. Das Problem ist nur, dass die Menschen immer weniger bereit sind zuzuhören und den wirklichen Sinn der Worte zu begreifen.

Vielleicht auch deshalb, weil wir immer mehr über die Optik kommunizieren. Vielleicht hören wir das Wort auch deshalb nicht, weil es im Überfluss vorhanden ist.
Franz MORAK: Jetzt reden wir von den Phrasen, auch so eine Seuche der Jetztzeit. Wir sind nicht mehr in der Lage zu sagen: Das gefällt mir, das gefällt mir nicht. Da gibt es nur noch „Daumen nach oben“ und „Daumen nach unten“. Und nichts dazwischen.

Wo waren Sie eigentlich in den letzten Jahren – und warum gerade jetzt die Rückkehr des Musikers Morak?
Franz MORAK: Ich habe mich viel mit meinem Garten beschäftigt, mit meiner Familie und mit Reisen. Nach meiner Zeit in der Politik brauchte ich eine Pause. Ich bin kein Berater geworden, ich habe keinen Weinkeller, ich wollte auch nicht auf die Theaterbühne zurück. Ich hatte also viel Zeit zum Nachdenken. Und aus dem Denken entstanden im Laufe der Zeit Texte.



Sie waren von 2000 bis 2007 VP-Kulturstaatssekretär. Das wurde von vielen, die den rotzigen Punkrocker und streitbaren Schauspieler schätzten, als Verrat betracht. Wie sehen Sie das aus der Distanz der Jahre?
Franz MORAK: Donnerstagsdemonstranten, Freunde haben plötzlich nicht mehr mit mir geredet, das waren schon krasse Erlebnisse. Aber die Sachen, die ich damals auf die Beine gestellt habe, die gibt es heute alle noch. Künstlersozialversicherung, Fonds für Popmusik, Fonds für Musikproduzenten. Es war immerhin so, dass meine Nachfolger das so belassen haben, wie ich es ausgearbeitet habe.

Blieb nicht dennoch eine Kränkung zurück?
Franz MORAK: Es gab Verletzungen. Die Anfeindungen gegen mich waren auf keinem Level, auf dem man hätte diskutieren können. Aber ganz generell, weil ich gerade mit der Kleinen Zeitung spreche: Ich habe bis zu meinem 21. Lebensjahr in der Steiermark gelebt und bin mit Hanns Koren sozialisiert worden. Dieser Mann und seine kulturelle Breite waren ein großes Vorbild für mich.

Möchten Sie die Performance der jetzigen Regierung kommentieren?
Franz MORAK: Nein! Ich halte nichts von Politikern, die ihre Zeit hinter sich haben und im Nachhinein alles besser wissen.

Im Titelsong „Leben frisst rohes Fleisch“ heißt es: „denn es ist dicht an nicht, kurz vor kreisch“. Der nihilistische Sukkus des Albums?
Franz MORAK: Die Platte ist eine Art Tagebuch und eine Reise nach Absurdistan. Wobei immer die Frage ist: Was ist Realität, was Satire, was Nonsens? Aber was bleibt, ist: Dein Leben frisst dich auf. Und zwar, ohne dass du es merkst.

Altersmilde oder Alterszuversicht sind Ihnen fremd.
Franz MORAK: Meine Songs wachsen mit mir mit. Ich mag keine Teeniemusik, die 75-Jährige machen. Auf der neuen CD findet man Lieder für Erwachsene von einem sehr Erwachsenen. Das Album ist ein Ritt auf dem Leben; auf diesem gierigen, fleischfressenden Leben.

Franz Morak: Leben Frisst Rohes Fleisch. Label: Partisan Sternstaub
Franz Morak: Leben Frisst Rohes Fleisch. Label: Partisan Sternstaub © Partisan Sternstaub