Es schillert in Malibu, das Meer, natürlich, aber mit dem Glanz in dieser Hütte kann es nicht mithalten: Ballons, sternförmig, glitzernd, sie verstopfen ein Stiegenhaus, das unter normalen Wohnverhältnissen eher einer Arena gleicht. Aber die, die über die Treppe die Ballonwolke umrundet, für sie ist eine Arena ohnehin so etwas wie ihr angestammtes Ökosystem.

Die junge Dame kennt man außerhalb dieser vier oder vierhundert Mauern, wer weiß das im Universum von Reichen und Schönen schon so genau, unter dem Namen Lady Gaga – schillernd ist übrigens ihr zweiter Vorname. Passenderweise ist diese Szene im Eingang die Eingangsszene der im Vorjahr veröffentlichten Netflix-Doku „Gaga: Five Foot Two“, ein Porträt über jene Sängerin, die seit ihrem Durchbruch 2008 unter dem Begriff „Pop-Phänomen“ schubladisiert wird. Die schillernden Ballons waren ein dezenter Gruß der Filmfirma Warner Bros. Es gehe um einen Film, so die Sängerin damals beiläufig: „Die wollen einen Film mit mir machen. Und ich soll die Hauptrolle spielen.“ Der Name des Films: „A Star Is Born“. Ballons, sternförmig, glitzernd – Warner Bros. hatte den richtigen Riecher.

Seit Donnerstag läuft der Film in den Kinos und schon ist hin und wieder die Rede von einem goldig-glänzenden Kerl: Oscar-Chancen? Was weiß man schon. Der Film selbst ist keine Neuerfindung, sondern die vierte Version eines bewährten Hollywood-Stoffes: Abgehalfterter Countrystar trifft in abgehalfterter Bar auf ein Gesangstalent, das von null auf 100 durchstartet. Doch ihr Aufstieg ist sein Abstieg: Die Sucht, sie zieht, aber nie nach oben wie ein Ballon, sondern nach unten, wie ein nasser Sandsack. Die Kluft, die entsteht, lässt das Paar Ally und Jackson auf der Leinwand taumeln. Die beiden Darsteller Lady Gaga und Bradley Cooper, dessen Regiedebüt der Film gleichzeitig ist, haben diesen Seiltanz hingegen mit Bravour gemeistert. Für Lady Gaga ist es die erste Hauptrolle in einem Film. Und es ist ein Fortschritt, der ohne Rückschritt nicht möglich war. Die schrille Popsängerin häutet sich für die Rolle, legt alles ab. Will man es noch dramatischer ausdrücken: Der letzte Schleier im Tanz der Salome ist gefallen.

Lady Gaga in ihrem berühmten Fleischkleid für die MTV Awards im Jahr 2010
Lady Gaga in ihrem berühmten Fleischkleid für die MTV Awards im Jahr 2010 © AP

Die exzentrische Lady, die vom essbaren Fleischkleid bis zum durchsichtigen Plazentamantel sämtliche Bewohner eines modischen Bestiariums ausgeführt hat, macht den Deckel der Kleidertruhe zu. Denn irgendwann am Weg zum absoluten Ruhm, irgendwo zwischen fünf Alben, sechs Grammys und einem Golden Globe, ist sie verloren gegangen, die Person Stefanie Joanne Angelina Germanotta. Wurde die Lust zur Verkleidung zum Muss. Wurde die Kür zur Pflicht. Dabei war diese Form der Inszenierung nicht als Monster skizziert, im Gegenteil. Es sollte ein Bollwerk gegen das American-Beauty-Syndrom sein, das latente Grundrauschen im Popstargeschäft.

Bei den Grammy Music Awards 2016
Bei den Grammy Music Awards 2016 © APA/AFP/VALERIE MACON

In der Doku „Gaga: Five Foot Two“ gibt sie eine Selbstdiagnose ab: „Ich habe mich nie hübsch genug oder gut genug gefühlt.“ Dann doch lieber ein Art Ornat kreieren, in dem sich das Monster Popstargeschäft darin spiegeln kann. Die Theorie hat sich mit voller Wirkungskraft in der Realität entfaltet: Rekorde bei YouTube-Views, Singles in Charts, Einkommensrankings. Viel Lärm, viel Ruhm und eine Wirkungskette, die viele Entertainer zu spüren bekommen: „Die Art, wie wir geformt werden, wie man über uns kommuniziert, um diese Art von perfektem Wesen zu schaffen. Aber das sind wir ja eigentlich nicht, wir sind doch wie alle anderen auch“, so die gebürtige New Yorkerin nach der Veröffentlichung ihrer letzten Platte vor zwei Jahren.



Wann wird die Person des öffentlichen Interesses eigentlich zum Eigentum der Öffentlichkeit? Wem gehörst du, dir selbst oder doch deinen knapp 30 Millionen Abonnenten auf Instagram? Nie tun, was man von dir erwartet, das war schon immer das Dogma von Lady Gaga. Auch, um eines zu vermeiden: irgendwann nur mehr das „One-Trick-Pony“ zu sein, das nicht mehr beklatscht, sondern nur belächelt wird. Dem Marilyn-Monroe-Moment zu entkommen, wenn aus der Bewunderung Mitleid wird. Und so legt sie im nächsten Moment alles ab, verlässt nicht nur ihr gewohntes Terrain, sondern auch ihre Inszenierung, die immer auch eine Art Rüstung war.
Im Vorjahr schien die 32-Jährige am bisherigen Zenit ihrer Karriere angekommen zu sein: Halbfinalshow bei der Superbowl, der Eintritt in die oberste Entertainmentliga. Die Doku zeigt die letzten Sekunden, bevor sie zu Beginn ihrer spektakulären Bühnenshow in die Luft gezogen wird: „Es gibt nichts Größeres als das hier, also genieße ich es lieber, denn es wird nicht noch einmal passieren“. Wenn sie sich da einmal nicht geirrt hat.